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Diesseits vom Paradies

Diesseits vom Paradies

Titel: Diesseits vom Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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den Herbst als Thanksgiving.«
    »Viel besser – und der Heilige Abend ist sehr schön für den Winter, aber der Sommer…«
    »Der Sommer hat keinen Tag«, sagte sie. »Eine Sommerliebe ist einfach ein Ding der Unmöglichkeit. So viele Leute haben das schon versucht, dass die Bezeichnung sprichwörtlich geworden ist. Sommer ist nur das uneingelöste Versprechen des Frühlings, ein Scharlatan anstelle der warmen, duftenden Nächte, von denen ich im April träume. Er ist eine traurige Jahreszeit für das Leben, ohne Wachstum… Er hat keinen Tag.«
    [333] »Vierter Juli«, schlug Amory im Spaß vor.
    »Werd nicht komisch!«, sagte sie und sah ihn scharf an.
    »Nun, wer könnte denn das Versprechen des Frühlings einlösen?«
    »Oh, ich schätze, der Himmel könnte es, wenn es einen gäbe«, sagte sie schließlich. »Eine Art heidnischer Himmel – du solltest Materialist werden«, fügte sie ohne erkennbaren Zusammenhang hinzu.
    »Wieso?«
    »Weil du ganz ähnlich aussiehst wie Rupert Brooke auf Bildern.«
    In gewisser Weise versuchte Amory während seiner Zeit mit Eleanor, tatsächlich Rupert Brooke zu spielen. Was er sagte, seine Einstellung zum Leben, zu ihr, zu sich selbst, waren alles Reflexe literarischer Stimmungen dieses toten Engländers. Oft saß sie im Gras, ein leichter Wind spielte in ihrem kurzen Haar, ihre Stimme klang rauh, während sie die ganze Skala von Grantchester bis Waikiki durchlief. Wenn Eleanor vorlas, hatte sie etwas überaus Leidenschaftliches. Sie schienen sich, nicht nur geistig, sondern auch körperlich, näher zu sein, wenn sie lasen, als wenn sie in seinen Armen lag, was oft der Fall war, denn fast vom ersten Augenblick an hatten sie sich ein wenig ineinander verliebt. Doch war Amory augenblicklich überhaupt fähig zu lieben? Er konnte, wie immer, alle Gefühle in einer halben Stunde durchlaufen, doch selbst während sie in ihren Wunschvorstellungen schwelgten, wusste er, dass keiner von beiden so zärtlich lieben konnte, wie er es einmal in seinem Leben getan hatte – und deswegen, so nehme ich an, wandten sie sich Brooke und Swinburne und Shelley zu. Sie versuchten, alles [334] rein und vollendet und reich und phantasievoll erscheinen zu lassen; sie mussten kleine goldene Fühler von der Phantasie des einen zu der des anderen ausstrecken, welche den Platz der großen, tiefen Liebe einnahm, die niemals so nah, nie so sehr ein Traum war.
    Ein Gedicht lasen sie wieder und wieder, Swinburnes Triumph der Zeit, und vier Zeilen daraus kamen ihm später wieder ins Gedächtnis, in warmen Nächten, wenn er Leuchtkäfer zwischen den düsteren Baumstämmen sah und das leise Gequake der vielen Frösche hörte. Dann schien Eleanor aus der Nacht hervorzutreten und nahe bei ihm zu stehen, und er hörte ihre rauhe Stimme, mit dem Klang einer weichbespannten Trommel, sagen:
    Ist’s eine Träne, ist’s eine Stunde wert,
    An Dinge zu denken, die lang überlebt sind,
    An unnütze Spreu und vergängliche Blume,
    Der Traum verflogen und die Tat ungetan?
    Zwei Tage später wurden sie einander offiziell vorgestellt, und seine Tante erzählte ihm ihre Geschichte. Es gab zwei Ramillys: den alten Mr. Ramilly und seine Enkelin, Eleanor. Sie hatte mit einer rastlosen Mutter, die sich Amory sehr ähnlich wie seine eigene vorstellte, bis zu deren Tod in Frankreich gelebt und war dann nach Amerika gekommen, um von nun an in Maryland zu leben. Zunächst hatte sie in Baltimore bei einem unverheirateten Onkel gewohnt und dort durchgesetzt, im Alter von siebzehn Jahren als Debütantin in die Gesellschaft eingeführt zu werden. Sie verlebte einen sehr übermütigen Winter und erschien im März auf [335] dem Land, nachdem sie sich mit allen Baltimorer Verwandten überworfen und durch ihr schockierendes Benehmen deren heftigsten Unmut hervorgerufen hatte. Unter den Debütanten hatte sich eine recht amüsierfreudige Clique gebildet, die in Limousinen Cocktails trank und älteren Leuten gegenüber grundsätzlich ein herablassendes und gönnerhaftes Benehmen an den Tag legte, und Eleanor, deren Esprit stark von den Boulevards geprägt war, führte viele Unschuldslämmer, die St. Timothy und Farmington noch nicht ganz abgeschüttelt hatten, auf die Abwege der Boheme. Als dies alles ihrem Onkel, einem vergesslichen Kavalier aus einer scheinheiligeren Ära, zu Ohren kam, gab es eine Szene, aus der Eleanor geschlagen, doch immer noch rebellisch und empört, hervorging, um Zuflucht bei ihrem Großvater zu suchen, der auf dem

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