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Diesseits vom Paradies

Diesseits vom Paradies

Titel: Diesseits vom Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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wilder und klüger. Teure Wohnungen in der Gegend hier – vielleicht hundertfünfzig pro Monat – vielleicht sogar zweihundert. Onkel hatte fürs ganze große Haus in Minneapolis nur hundert im Monat gezahlt. Frage: War die Treppe rechts oder links, wenn man reinkam? Jedenfalls in Univee 12 war sie [374] geradeaus und dann links. Was für ein schmutziger Fluss – möchte gern runtergehen und sehen, ob er schmutzig ist, französische Flüsse alle braun oder schwarz, die Flüsse im Süden auch. Vierundzwanzig Dollar bedeutete einhundertachtzig Doughnuts. Er könnte drei Monate davon leben und im Park schlafen. Wo Jill wohl war – Jill Bayne, Fayne, Sayne– weiß der Teufel – Hals schmerzt, verdammt unbequem, der Sitz. Keine Lust, mit Jill zu schlafen, was fand Alec bloß an ihr? Alec hatte einen vulgären Geschmack bei Frauen. Eigener Geschmack der beste: Isabelle, Clara, Rosalind, Eleanor gehörten zur amerikanischen Nationalmannschaft. Eleanor wäre Pitcher, vermutlich Linkshänder. Rosalind war Außenfeldspieler, mit wundervollen Schlägen, Clara vielleicht an der Grundlinie. Frage, wie Humbirds Körper jetzt wohl aussah. Wenn er selbst nicht Ausbilder am Bajonett geworden wäre, wäre er drei Monate eher an die Front gekommen, vielleicht gefallen. Wo ist die verdammte Glocke…?
    Die Straßennummern des Riverside Drive waren durch Nebel und tropfnasse Bäume hindurch auch beim schärfsten Hinsehen kaum zu erkennen, doch schließlich hatte Amory eine erspäht – Einhundertundsiebenundzwanzigste Straße. Er stieg aus, folgte aufs Geratewohl einem gewundenen, abschüssigen Pfad und kam schließlich am Fluss heraus, genauer, an einem langen Pier und unordentlich abgeteilten Liegeplätzen für Miniaturschiffe: kleine Barkassen, Kanus, Ruderboote und Catboote. Er wandte sich nach Norden und lief am Ufer entlang, übersprang einen niedrigen Drahtzaun und befand sich auf einem weiten, verwüsteten Gelände, das an ein Dock grenzte. Um ihn herum [375] lagen viele Bootsrümpfe, mehr oder weniger zerlegt; er roch Sägemehl und Farbe und den kaum wahrnehmbaren, schalen Geruch des Hudson. Ein Mann kam aus der tiefen Dunkelheit auf ihn zu.
    »Hallo«, sagte Amory.
    »Haben Sie einen Ausweis?«
    »Nein. Ist das Privatgelände?«
    »Das ist der Hudson-River-Sport- und Yacht-Klub.«
    »Oh! Das wusste ich nicht. Ich hab mich nur ein bisschen ausgeruht.«
    »Na ja…«, sagte der Mann unschlüssig.
    »Ich gehe sofort wieder, wenn Sie es verlangen.«
    Der Mann murmelte etwas in seinen Bart und ging weiter. Amory setzte sich auf ein umgedrehtes Boot und beugte sich nachdenklich vor, bis sein Kinn auf seiner Hand ruhte.
    »Das Unglück wird noch einen verdammt schlechten Kerl aus mir machen«, sagte er langsam.
    In den trüben Stunden
    Während der Regen weiter auf ihn niederrieselte, überdachte Amory den sinnlosen Verlauf seines Lebens, all sein Geglitzer und seine schmutzigen Untiefen. Zunächst einmal hatte er noch immer Angst – nicht mehr in körperlicher Hinsicht, aber Angst vor Leuten und Vorurteilen und Elend und Eintönigkeit. Dennoch fragte er sich, bei aller Verbitterung, ob er letztlich wohl schlechter war als die anderen. Er wusste, dass er sich durch schlaue Argumente schließlich dahin bringen konnte zu behaupten, seine eigenen [376] Schwächen seien nur das Ergebnis äußerer Umstände und Einflüsse; dass oft, wenn er gegen sich selbst als den Egoisten wütete, etwas in ihm schmeichelnd flüsterte: »Nein. Genie!« Das war eine Manifestation seiner Angst, diese Stimme, die ihm zuflüsterte, dass er nicht zugleich groß und gut sein könne, dass sein Genie die genaue Zusammensetzung aus diesen unerklärlichen Furchen und Windungen seines Gehirns war, dass jede Disziplin es aufs Mittelmaß zurückschrauben würde. Vielleicht mehr noch als jeden konkreten Makel oder Fehler verachtete Amory seine eigene Persönlichkeit – er verabscheute das Wissen, dass er morgen und an jedem anderen Tag bei jedem Kompliment stolzgeschwellt dastehen würde und bei jedem falschen Wort gekränkt wäre wie ein drittrangiger Musiker oder ein erstklassiger Schauspieler. Er schämte sich der Tatsache, dass ganz schlichte und aufrichtige Menschen ihm gewöhnlich misstrauten; dass er oft grausam gewesen war zu denen, die ihm mit ihrer Persönlichkeit verfallen waren – einige Mädchen und hier und da jemand im College, auf den er einen schlechten Einfluss ausgeübt hatte; Menschen, die ihm hier und da in geistige Abenteuer gefolgt

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