Diesseits vom Paradies
dass Mr. Amory Blaine, der seine Adresse wie folgt etc. angegeben hatte, zum Verlassen seines Hotels in Atlantic City aufgefordert worden war, weil sich in seinem Zimmer eine Dame befand, mit der er nicht verheiratet war.
Dann zuckte er zusammen, und seine Hände begannen zu zittern, denn direkt darüber stand eine längere Meldung, deren erste Worte lauteten: »Mr. und Mrs. Leland R. Connage geben die Verlobung ihrer Tochter Rosalind mit Mr. J. Dawson Ryder aus Hartford, Connecticut, bekannt…«
[365] Er ließ die Zeitung fallen und warf sich aufs Bett; der Schreck war ihm in den Magen gefahren. Sie war dahin, endgültig und für alle Zeit dahin. Bisher hatte er noch immer halb unbewusst tief in seinem Herzen die Hoffnung gehegt, dass sie ihn eines Tages brauchen und nach ihm schicken, weinend gestehen würde, dass alles ein Irrtum war, dass ihr das Herz blute um des Schmerzes willen, den sie ihm zugefügt hatte. Jetzt konnte er nicht einmal mehr den zwielichtigen Genuss darin finden, sie zu begehren – nicht diese Rosalind, die härtere, ältere – noch eine geschlagene, gebrochene Frau, wie er sie sich an der Schwelle zur Vierzigjährigen ausmalte – Amory hatte ihre Jugend begehrt, die frische Ausstrahlung ihres Geistes und Körpers, eben das, was sie jetzt und ein für alle Mal verkaufte. Für ihn jedenfalls war die junge Rosalind gestorben.
Einen Tag später kam ein kurz und bündig gehaltener Brief von Mr. Barton aus Chicago, der ihn darüber informierte, dass er für die nächste Zeit keine weiteren Geldsendungen erwarten könne, da noch drei Straßenbahngesellschaften in die Hände von Konkursverwaltern übergegangen waren. Und schließlich unterrichtete ihn zu seiner Bestürzung an einem Sonntagabend ein Telegramm davon, dass Monsignore Darcy fünf Tage zuvor unerwartet in Philadelphia gestorben war.
Er wusste nun, was er damals zwischen den Vorhängen des Zimmers in Atlantic City wahrgenommen hatte.
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[366] V
Der Egoist wird zum Charakter
In unermesslich tiefem Schlaf lieg ich gefangen
Mit alten Sehnsüchten, gebändigt zuvor,
Die heftig fordernd wieder zum Leben drängen,
Während das Dunkel aus der ergrauenden Tür entweicht;
So auf der Suche nach einem Glauben, den ich teilen kann,
Such ich erneut den freundlichen Tag…
Doch herrscht die alte Monotonie:
Endlose Straßen im Regen.
Oh, könnt ich mich wieder aufschwingen! Könnt ich
Die Hitze dieses alten Weins abstreifen,
Sehen, wie der junge Morgen den Himmel
Mit zauberischen Türmen füllt, dicht an dicht,
Könnt ich jedes Wunder dort oben in der Luft
Erkennen als Symbol, nicht wieder nur als Traum…
Doch herrscht die alte Monotonie:
Endlose Straßen im Regen.
Amory stand unter dem gläsernen Portikus eines Theaters und sah zu, wie die ersten großen Regentropfen auf den [367] Gehsteig klatschten und sich zu dunklen Flecken ausbreiteten. Die Luft wurde grau und schillernd; ein einsames Licht erhellte plötzlich die Umrisse eines Fensters auf der anderen Straßenseite; dann noch ein Licht; dann begannen sie zu Hunderten vor seinen Augen zu tanzen und zu flimmern. Unter seinen Füßen leuchtete ein rundes, eisenvergittertes Oberlicht gelb auf; in den Straßen warfen die Taxischeinwerfer einen glänzenden Schimmer auf das schon schwärzliche Pflaster. Der unwillkommene Novemberregen hatte heimtückisch die letzte Stunde des Tages gestohlen und an die Nacht, diesen uralten Hehler, verpfändet.
Die Stille im Theater hinter ihm endete mit einem seltsamen Klacken, gefolgt von dem Getöse der sich erhebenden Menge und vieler wild durcheinanderschnatternder Stimmen. Die Matinee war zu Ende.
Er stellte sich abseits, stand schon ein wenig im Regen, um die Menge passieren zu lassen. Ein kleiner Junge kam herausgestürzt, hielt die Nase in die feuchte, frische Luft und schlug seinen Mantelkragen hoch; dann drei oder vier Paare in großer Eile; dann weitere Gruppen von Leuten, die beim Hinaustreten unweigerlich zuerst auf die nasse Straße, dann auf den strömenden Regen und zuletzt in den trüben Himmel blickten; schließlich wälzte sich die große Masse an ihm vorbei, deren starke Ausdünstung von Tabak bei den Männern und aufdringlichem, billigem Puder bei den Frauen ihn bedrängte. Nach der geballten Masse kamen noch ein paar Vereinzelte; ein halbes Dutzend Nachzügler; ein Mann auf Krücken; schließlich verriet das Rattern und Krachen, mit dem die Klappstühle zusammengestellt wurden, dass
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