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Diesseits vom Paradies

Diesseits vom Paradies

Titel: Diesseits vom Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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nichts anderes zu tun hatte, als endlos die Straßen auf und ab zu flanieren und große Rauchwolken aus brandneuen Pfeifen auszustoßen. Gegen Nachmittag bemerkte Amory, [62] dass die zuletzt Angekommenen ihn für ein höheres Semester hielten, und er bemühte sich nach Kräften, zugleich freundlich blasiert und beiläufig kritisch dreinzuschauen, denn dies war der vorherrschende Gesichtsausdruck, soweit er das bis jetzt hatte feststellen können.
    Um fünf Uhr nachmittags verspürte er das Bedürfnis, seine eigene Stimme zu hören, und kehrte zu seinem Haus zurück, um zu sehen, ob mittlerweile sonst noch jemand eingetroffen war. Nachdem er die wacklige Treppe erklommen hatte, betrachtete er resigniert sein Zimmer und entschied, dass jeder Versuch einer geistreicheren Ausschmückung als der mit Schulfahne und Princeton-Tiger-Bildern ein hoffnungsloses Unterfangen war. Es klopfte an der Tür.
    »Herein!«
    Ein schmales Gesicht mit grauen Augen und einem heiteren Lächeln erschien in der Tür.
    »Hast du zufällig ’n Hammer?«
    »Nein – tut mir leid. Vielleicht hat Mrs. Twelve, oder wie sie heißt, einen.«
    Der Fremde kam ins Zimmer.
    »Wohnst du hier?«
    Amory nickte.
    »Elender Schuppen für die Miete, die wir zahlen müssen.«
    Amory konnte nicht umhin zuzustimmen.
    »Ich hab an den Campus gedacht«, sagte er, »aber da soll’s so wenige Freshmen geben, dass sie völlig untergehen. Können nur rumsitzen und nachdenken, was sie tun sollen.«
    Der Grauäugige beschloss, sich vorzustellen.
    [63] »Mein Name ist Holiday.«
    »Blaine.«
    Sie begrüßten sich mit dem klatschenden Handschlag nach unten, wie er gerade Mode war. Amory grinste.
    »Wo warst du vorher?«
    »Andover – und du?«
    »St. Regis.«
    »Wirklich? Da war ein Cousin von mir.«
    Sie unterhielten sich ausführlich über den Cousin, dann verkündete Holiday, dass er um sechs Uhr mit seinem Bruder zum Abendessen verabredet sei.
    »Komm doch mit, und iss einen Happen mit uns.«
    »Gerne.«
    Im Kenilworth lernte Amory Burne Holiday kennen – der mit den grauen Augen war Kerry –, und sie aßen gemeinsam eine dürftige Mahlzeit, bestehend aus wässriger Suppe und anämischem Gemüse, und starrten dabei die anderen Freshmen an, die entweder höchst unbehaglich in kleinen Grüppchen dasaßen oder sich in einer großen Gruppe offenbar schon wie zu Hause fühlten.
    »Die Mensa soll ziemlich schlecht sein«, sagte Amory.
    »Hab ich auch schon gehört. Aber man muss da essen – bezahlen muss man auf jeden Fall.«
    »Schande!«
    »Zumutung!«
    »Ja, in Princeton muss man im ersten Jahr eben alles schlucken. Genau wie in der verdammten prep school. «
    Amory stimmte zu.
    »Obwohl, hier ist wenigstens was los«, beharrte er. »Ich wär nicht für ’ne Million nach Yale gegangen.«
    [64] »Ich auch nicht.«
    »Machst du bei irgendwas mit?«, erkundigte sich Amory bei dem älteren Bruder.
    »Ich nicht – aber Burne will bei der Studentenzeitung mitmachen – beim Daily Princetonian, weißt du.«
    »Ja, kenn ich.«
    »Und du, machst du bei irgendwas mit?«
    »Ja, klar. Ich werd’s mal mit dem Freshmen-Football probieren.«
    »In St. Regis schon gespielt?«
    »Ein bisschen«, stapelte Amory tief, »aber ich werd so verdammt dünn dabei.«
    »Du bist doch nicht dünn.«
    »Aber letzten Herbst war ich noch ziemlich stämmig.«
    »Aha!«
    Nach dem Essen gingen sie ins Kino, wo Amory ebenso fasziniert war von den frechen Sprüchen eines Zuschauers vor ihm wie vom wilden Gebrüll und Geschrei.
    »Oho!«
    »O Honeybaby – du bist so groß und stark, und so sanft!«
    »Pack sie!«
    »Nun pack sie schon!«
    »Küss sie, los, küss die Lady, mach schon!«
    »Oh-h-h-!«
    Ein paar begannen By the Sea zu pfeifen, und das übrige Publikum machte lärmend mit. Danach folgte ein nicht wiederzuerkennendes Lied, das mit lautem Gestampfe begleitet wurde, und schließlich ein endloses, völlig ungereimtes Klagelied.
    [65] Oh-h-h-h-h
    She works in a Jam Factoree
    And – that-may-be-all-right
    But you can’t-fool-me
    For I know – DAMN – WELL
    That she DON’T -make-jam-all-night!
    Oh-h-h-h!
    Als sie sich hinausdrängelten und dabei neugierige, unpersönliche Blicke austauschten, stellte Amory fest, dass ihm das Kino gefiel und er sich dabei genauso amüsieren wollte wie die höheren Semester in der Reihe vor ihm, mit den Armen auf der vorderen Sitzlehne, mit gälisch unflätigen und bissigen Zwischenrufen und einer Haltung, die eine Mischung aus kritischem Witz und

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