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Diesseits vom Paradies

Diesseits vom Paradies

Titel: Diesseits vom Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Seite saß, ihr völlig blödsinnig den Hof machte und sie damit zum Kichern und Grinsen brachte. Amory war mit der Beobachterrolle zufrieden und dachte darüber nach, mit welcher Leichtigkeit Kerry den banalsten Dingen Leben und Glanz verleihen konnte. Mehr oder weniger schienen sie alle diese Gabe zu besitzen, und ihre Gesellschaft war angenehm entspannend. Eigentlich mochte Amory nur einzelne Menschen und fürchtete sie, wenn sie in Gruppen auftraten, es sei denn, er stand im Mittelpunkt der Gruppe. Er fragte sich, wie viel jeder von ihnen zu der Partie beitrug, [118] denn es gab so etwas wie eine geistige Steuer, die jeder zu entrichten hatte. Alec und Kerry waren die Seele des Ganzen, doch nicht das Zentrum. Irgendwie waren der stille Humbird und Sloane mit seiner unduldsamen Hochnäsigkeit das Zentrum.
    Schon seit dem Freshman-Jahr war Dick Humbird Amory als die perfekte Verkörperung des Aristokraten vorgekommen. Er war schmächtig, aber gut gebaut – mit schwarzen Locken, klaren Gesichtszügen und ziemlich dunkler Hautfarbe. Was immer er sagte, klang unangreifbar richtig. Er besaß unbegrenzten Mut, durchschnittlich guten Verstand und ein ausgeprägtes Ehrgefühl, einen heiteren Charme, gepaart mit noblesse oblige, was keineswegs dasselbe wie Rechtschaffenheit war. Er konnte sich Ausschweifungen hingeben, ohne sich dabei zu ruinieren, und selbst seine leichtlebigsten Abenteuer hatten nie etwas mit »Sich-Produzieren« zu tun. Andere kleideten sich wie er, versuchten zu sprechen wie er… Amory fand, dass er möglicherweise den Lauf der Welt aufhielt, aber anders hätte er ihn nicht haben wollen…
    Er unterschied sich von dem gesunden Typ, der für die Mittelschicht stand – er schien niemals zu schwitzen. Manche Leute konnten kein vertrauliches Wort mit einem Chauffeur wechseln, ohne dass es ein schlechtes Licht auf sie warf; Humbird hätte im Sherry mit einem Farbigen dinieren können, und niemand hätte etwas daran auszusetzen gehabt. Er war kein Snob, obwohl er kaum die Hälfte seiner Klasse kannte. Seine Freunde kamen aus allen Schichten, von den obersten bis zu den untersten, doch es war unmöglich, mit ihm eine Freundschaft zu »pflegen«. Die [119] Bediensteten beteten ihn an und behandelten ihn wie einen Gott. Er schien ein bleibendes Beispiel für das, was die Oberschicht stets zu sein versuchte.
    »Er sieht aus wie die gefallenen englischen Offiziere auf den Fotos in der Illustrated London News «, hatte Amory zu Alec gesagt.
    »Tja«, hatte Alec geantwortet, »wenn du die bestürzende Wahrheit wissen willst, sein Vater war Verkäufer in einem Lebensmittelgeschäft und hat bei Grundstückspekulationen in Tacoma ein Vermögen gemacht; er ist erst seit zehn Jahren in New York.«
    Amory hatte eine merkwürdige Enttäuschung verspürt.
    Ihr jetziger Ausflug war nur darum möglich, weil die Klasse nach den Clubwahlen enger zusammengerückt war– als wollten sie einen letzten verzweifelten Versuch unternehmen, miteinander vertraut zu werden, zusammenzuhalten und sich dem eisernen Zugriff der Clubs zu entziehen. Es war ein Abstieg aus den Höhen der Konvention, die sie so unerbittlich angestrebt hatten.
    Nach dem Abendessen begleiteten sie Kaluka zur Promenade und schlenderten dann am Strand entlang zurück nach Asbury. Das Meer am Abend war ein ganz neues Erlebnis, all seine Farben und die Abgeklärtheit seines Alters waren verschwunden, und es war nun die trostlose Öde, die nordische Sagen so traurig machte. Amory dachte an Kiplings
    Strände von Lukanon, bevor die Robbenjäger kamen.
    Da war immer noch eine Musik, doch nun eine unendlich traurige.
    [120] Um zehn Uhr abends hatten sie keinen Cent mehr. Für ihre letzten elf Cent hatten sie großartig zu Abend gespeist, waren singend durch die Casinos und die erleuchteten Bogengänge auf der Strandpromenade gezogen und hatten bei jedem Tanzorchester haltgemacht, um begeistert zuzuhören. Auf einem Platz hatte Kerry eine Sammlung für die französischen Kriegswaisen veranstaltet, die einen Dollar und zwanzig Cents einbrachte und von der sie Brandy kauften, falls es ihnen in der Nacht kalt werden sollte. Sie beschlossen den Tag mit einer Filmvorführung und brachen bei der alten Komödie alle gleichzeitig an den unpassendsten Stellen wichtigtuerisch in brüllendes Gelächter aus, sehr zum Ärger des übrigen Publikums. Sie hatten sich strategisch geschickt Einlass verschafft, indem jeder beim Hineingehen bedeutungsvoll auf seinen Hintermann wies.

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