Diesseits vom Paradies
wollten.
Noch lange danach dachte Amory an den Frühling seines Sophomore-Jahres als die glücklichste Zeit seines Lebens zurück. Seine Vorstellungen entsprachen dem Leben, wie er es vorfand; er wollte nichts weiter, als sich treiben zu lassen und zu träumen und an den schönen Aprilnachmittagen ein Dutzend neugewonnener Freundschaften zu genießen.
Eines Morgens kam Alec Connage in sein Zimmer und weckte ihn in dem Sonnenschein und dem besonderen Glanz der Campbell Hall, der durch sein Fenster schien.
»Wach auf, Erbsünder, und rapple dich auf. Sei in einer halben Stunde vor dem Renwick-Haus. Jemand hat ein Auto aufgetrieben.« Er nahm die Schreibtischabdeckung und legte sie, mit allem darauf befindlichen Krimskrams, behutsam auf das Bett.
[112] »Und wo habt ihr das Auto her?«, fragte Amory zynisch.
»Streng vertraulich – aber sei kein Spielverderber, sonst darfst du nicht mitkommen.«
»Ich werd wohl besser weiterschlafen«, sagte Amory ruhig, legte sich wieder hin und langte neben seinem Bett nach einer Zigarette.
»Weiterschlafen!«
»Warum nicht? Ich hab um halb zwölf einen Kurs.«
»Alter Miesepeter! Aber schön, wenn du nicht mitwillst an die Küste…«
Mit einem Satz war Amory aus dem Bett, die Gegenstände auf der Schreibtischabdeckung flogen in alle Richtungen. Die Küste… seit Jahren hatte er sie nicht mehr gesehen – seit den Pilgertouren, die er mit seiner Mutter unternommen hatte.
»Wer kommt noch mit?«, fragte er, als er in seine Unterhosen schlüpfte.
»Dick Humbird und Kerry Holiday und Jesse Ferrenby und – ach, fünf oder sechs insgesamt. Mach schnell, Junge!«
Zehn Minuten später schlang Amory im Renwick-Haus seine Cornflakes hinunter, und um halb zehn rollten sie fröhlich aus der Stadt, zum Sandstrand von Deal Beach.
»Weißt du«, sagte Kerry, »der Wagen ist von da unten. Er wurde in Asbury Park von Unbekannten gestohlen, die ihn in Princeton stehengelassen und sich dann Richtung Westen davongemacht haben. Unser herzloser Ritter Humbird hat die offizielle Erlaubnis von der Stadt, den Wagen abzuliefern.«
»Hat irgendwer Geld dabei?«, erkundigte sich Ferrenby und wandte sich vom Vordersitz zu ihnen um.
[113] Im Chor erscholl ein einhelliges, nachdrückliches Nein.
»Das macht die Sache spannend.«
»Geld – was ist schon Geld? Wir können den Wagen verkaufen.«
»Oder Überführungsgebühren verlangen oder so was.«
»Und wie kriegen wir etwas zu essen?«, fragte Amory.
»Aber, aber«, gab Kerry zurück und warf ihm einen tadelnden Blick zu, »zweifelst du etwa an Kerrys Fähigkeiten, mal drei Tage zu hungern? Andere Leute haben jahrelang von gar nichts gelebt. Lies mal die Pfadfinderzeitschrift.«
»Drei Tage«, sinnierte Amory, »und ich hab Vorlesungen.«
»Ein Tag davon ist schon mal Sonntag.«
»Trotzdem, ich kann nur sechs Vorlesungen schwänzen, und wir haben noch mehr als eineinhalb Monate vor uns.«
»Werft ihn raus!«
»Das wird ein langer Spaziergang nach Hause.«
»Amory, du produzierst dich, wenn ich mal einen neuen Ausdruck prägen darf.«
»Solltest du dich nicht lieber einmotten lassen, Amory?« Amory ließ sich ergeben zurückfallen und versank in die Betrachtung der vorbeiziehenden Szenerie. Irgendwie schien Swinburne darauf zu passen.
Oh, des Winters Regen und Verwüstungen sind vorbei,
Und die Zeiten des Schnees und der Sünden,
Die Tage, die Liebsten und Liebste scheiden,
Das Licht, das verliert, die Nacht, die gewinnt;
Und erinnerte Zeit ist vergessener Kummer,
Und Fröste sind überwunden, Blumen hervorgebracht,
[114] Und im grünen Unterholz und Gebüsch
Blüte um Blüte der Frühling beginnt.
Die reichen Ströme nähren von Blumen sich –
»Was ist los, Amory? Amory denkt an Poesie, an liebliche Vögel und Blumen. Ich seh’s ihm an.«
»Nein, tu ich nicht«, log er. »Ich denke an den Princetonian. Eigentlich sollte ich heute Abend etwas abliefern; aber ich kann ja anrufen.«
»Oh«, sagte Kerry respektvoll, »diese wichtigen Leute…« Amory errötete, und ihm schien, als sei Ferrenby, ein abgeschmetterter Bewerber, leicht zusammengezuckt. Natürlich machte Kerry nur Spaß, aber er hätte den Princetonian wirklich nicht erwähnen müssen.
Es war ein ruhiger Schönwettertag, und als sie der Küste näher kamen und salzige Brisen vorüberstrichen, stellte er sich den Ozean und die endlos weiten Sandflächen und die roten Dächer über dem blauen Meer vor. Dann brausten sie durch die kleine Stadt, und plötzlich
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