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Diesseits vom Paradies

Diesseits vom Paradies

Titel: Diesseits vom Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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aber für solche Feinheiten wie ›silbern schmetternden Hörnerklang‹ habe ich einfach kein Gefühl. Vielleicht wird noch ein Intellektueller aus mir, aber ich werde wohl immer nur mittelmäßige Gedichte schreiben.«
    Sie erreichten Princeton, als die Sonne den Himmel hinter der graduate school in eine farbige Landkarte verwandelte, und nahmen eilig eine erfrischende Dusche, die ihnen den Schlaf ersetzen musste. Am Mittag drängten sich schon die hellgekleideten Ehemaligen mit ihren Chören und Kapellen auf den Straßen, und in den Zelten, über denen sich orangefarbene und schwarze Banner im Wind kräuselten und wieder strafften, fanden große Wiedersehensszenen statt. Amory betrachtete lange das Haus mit der legendären Aufschrift »Sixty-nine«. Dort saßen ein paar grauhaarige Männer in ruhigem Gespräch, während die Klassen als lebendiges Panoramabild an ihnen vorüberzogen.
    Im Licht der Bogenlampe
    Dann plötzlich, Anfang Juni, funkelte das Schicksal Amory aus smaragdgrünen Augen an. Am Abend nach seiner Radtour nach Lawrenceville machte sich eine Gruppe Abenteuerlustiger nach New York auf und trat gegen Mitternacht in zwei Autos den Rückweg nach Princeton an. Die Stimmung war ausgelassen, und alle Stadien der Nüchternheit waren vertreten. Amory saß im hinteren Wagen; sie hatten eine falsche Abzweigung genommen und sich verirrt und mussten sich jetzt beeilen, die anderen wieder einzuholen.
    [130] Die Nacht war klar, und das heitere Dahinfahren stieg Amory zu Kopf. Schattenhaft formten sich zwei Strophen eines Gedichtes in seinem Kopf…
    So glitt der graue Wagen im Dunkel weiter durch die Nacht, und kein Leben rührte sich, als er vorbeifuhr… Wie der stille Ozean vor dem Hai in sternenfunkelnd glitzernden Bahnen vorbeitreibt, höchste Schönheit, die mondumhüllten Bäume stehen klar umrissen da, Paar um Paar, und Nachtvögel mit schlagenden Flügeln durchkreuzen klagend die Lüfte.
    Für einen Moment vorbei an einem Gasthof voll Lichter und Markisen, einem gelben Gasthof unter gelbem Mond – dann Schweigen, in dem das wachsende Gelächter abebbt… Der Wagen rollte weiter in den Juniwinden, sanfter die Schatten mit zunehmender Entfernung, dann verwehten die gelben Schatten ins Blaue…
    Sie kamen mit einem Ruck zum Stehen, und Amory tauchte auf, verwirrt. Eine Frau stand am Straßenrand und sprach mit Alec, der am Steuer saß. Später erinnerte er sich, dass sie in ihrem alten Morgenrock wie eine Hexe aussah, und er erinnerte sich an den rauhen, hohlen Klang ihrer Stimme, als sie sagte:
    »Seid ihr aus Princeton?«
    »Ja.«
    »Da liegt einer von euch getötet, und zwei andere sind so gut wie tot.«
    »O mein Gott!«
    »Da!«, zeigte sie, und sie starrten voll Schreck auf eine [131] Gestalt, die im hellen Schein einer Bogenlampe am Straßenrand mit dem Gesicht nach unten in einer immer größer werdenden Blutlache lag.
    Sie sprangen aus dem Wagen. Amory ahnte, wem dieser Hinterkopf – und dieses Haar – dieses Haar… und dann drehten sie die Gestalt um.
    »Das ist ja Dick – Dick Humbird!«
    »Um Gottes willen!«
    »Fühl, ob sein Herz noch schlägt!«
    Und dann wieder die hartnäckige Stimme der Alten, schaurig krächzend und siegesgewiss: »Der ist mausetot, glaubt’s mir. Der Wagen hat sich überschlagen. Zwei von denen, die nicht verletzt sind, haben die anderen gerade reingetragen, aber der hier ist hinüber.«
    Amory rannte ins Haus, und die anderen folgten mit der leblosen Masse, die sie in dem schäbigen kleinen Wohnzimmer auf das Sofa legten. Auf einer anderen Couch lag Sloane mit durchstoßener Schulter. Er war halb im Delirium und rief dauernd etwas von einer Chemievorlesung um zehn nach acht.
    »Ich weiß nicht, was passiert ist«, brachte Ferrenby mühsam heraus. »Dick ist gefahren, und er wollte das Steuer nicht abgeben; wir haben ihm gesagt, dass er zu viel getrunken hat – und dann kam diese verdammte Kurve – o mein Gott!…« Er warf sich zu Boden, vergrub sein Gesicht und brach in trockenes Schluchzen aus.
    Der Arzt war eingetroffen, und Amory ging zum Sofa hinüber, wo ihm jemand ein Laken reichte, um die Leiche damit zu bedecken. Mit plötzlicher Härte hob er eine von Dicks Händen hoch und ließ sie schwer zurückfallen. Die [132] Stirn war kalt, doch das Gesicht nicht ausdruckslos. Er sah auf die Schuhbänder – Dick hatte sie heute Morgen gebunden. Er hatte sie gebunden – und jetzt war er nur noch diese schwere weiße Masse. Alles, was vom Charme und von der

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