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Diesseits vom Paradies

Diesseits vom Paradies

Titel: Diesseits vom Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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er… Jedenfalls erzählte Clara Amory an diesem Abend sehr viel von sich. Mit sechzehn war ihr das Leben zur Qual geworden und ihre Ausbildung ebenso schlagartig beendet wie ihre Freizeit. Beim Herumstöbern in ihrer Bibliothek fand Amory ein [208] abgegriffenes graues Buch, aus dem ein vergilbtes Blatt Papier herausfiel, das er unverschämterweise auseinanderfaltete. Es war ein Gedicht, das sie während ihrer Schulzeit geschrieben hatte, über eine graue Klostermauer an einem grauen Tag, und auf dieser Mauer sitzt ein Mädchen mit seinem sich im Wind bauschenden Mantel und denkt über die bunte Welt nach. Im Allgemeinen langweilten ihn solche Gefühlsduseleien, doch dies hier hatte so viel Schlichtheit und Atmosphäre, dass es ihm ein Bild von Clara vor Augen führte, von Clara an solch einem kühlen grauen Tag, mit ihren wunderschönen blauen Augen, die ins Weite starrten und die Tragödien, die sich über die Gärten hinweg anbahnten, vorherzusehen versuchten. Er beneidete dieses Gedicht. Wie gern wäre er dort vorbeigekommen und hätte sie auf der Mauer sitzen sehen und ihr allen möglichen Unsinn oder etwas Romantisches erzählt, während sie über ihm in der Luft thronte. Er begann fürchterlich eifersüchtig auf alles zu werden, was Clara betraf: auf ihre Vergangenheit, ihre kleinen Kinder, auf die Männer und Frauen, die sich um sie scharten, um ihre erfrischende Freundlichkeit in sich aufzusaugen und ihre müden Köpfe bei ihr auszuruhen, wie bei einem fesselnden Theaterstück.
    »Dich langweilt offenbar niemand«, warf er ein.
    »Doch, jeder Zweite«, gab sie zu, »aber das ist doch ein ganz guter Durchschnitt, findest du nicht?«, und schon wandte sie sich ab, um eine Stelle bei Browning zu suchen, die sich auf das Thema bezog. Er kannte sonst niemanden, der wie sie mitten in der Unterhaltung Stellen und Zitate nachschlagen konnte, um sie ihm zu zeigen, und damit nicht störend vom Thema ablenkte. Sie tat es andauernd und mit [209] so ernsthafter Begeisterung, dass er ihr immer lieber zusah, wie ihr goldenes Haar über das Buch fiel und eine ganz kleine Falte über den Brauen entstand, während sie ihrem Satz nachjagte.
    In der ersten Märzhälfte fuhr er an den Wochenenden nach Philadelphia. Meist waren noch andere Besucher da, und offenbar war sie nicht darauf bedacht, ihn allein zu sehen, denn es ergaben sich etliche Gelegenheiten, wo ein Wort von ihr genügt hätte, ihm eine weitere köstliche halbe Stunde der Anbetung zu verschaffen. Aber er verliebte sich immer mehr und schmiedete ins Blaue hinein Heiratspläne. Obwohl dieses Vorhaben ihm ständig durch den Kopf ging und ihm schließlich sogar über die Lippen kam, wusste er doch später, dass dieser Wunsch nicht tief in ihm verwurzelt war. Einmal träumte er, es sei wahr geworden, und er erwachte in kalten Schweiß gebadet, denn in seinem Traum war Clara dumm und flachsblond gewesen, das Gold war aus ihrem Haar geschwunden, sie sprach wie ausgewechselt und gab nur abgeschmackte Platitüden von sich. Doch war sie die erste wirklich beeindruckende Frau, die er kennenlernte, und einer der wenigen guten Menschen, die ihn je interessierten. Sie zog aus ihrer Güte so viel Vorteil. Amory hatte festgestellt, dass die meisten guten Menschen diesen Vorzug entweder als Bürde mit sich herumschleppten oder zu künstlicher Herzlichkeit verkommen ließen, und dann gab es natürlich die unverwüstlichen Tugendbolde und Pharisäer – doch diese zählte Amory niemals zu den Erlösten.
    [210] Heilige Cäcilia
    Über ihrem grauen und samtenen Kleid,
    Unter ihrem fließenden, schimmernden Haar
    Glüht die Farbe der Rose, dem Kummer zum Trotz,
    Glüht und verblasst und macht sie schön;
    Erfüllt die Luft zwischen ihr und ihm
    Mit Licht und Sehnsucht und leisem Geseufz,
    Gerade so zart, dass er es kaum hört…
    Lachend und leuchtend, Farbe der Rose.
    »Magst du mich?«
    »Aber natürlich«, sagte Clara ernst.
    »Warum?«
    »Wir sind uns in manchem sehr ähnlich. Es sind Dinge, die wir beide in uns haben – oder ursprünglich hatten.«
    »Willst du damit sagen, dass ich nicht viel aus mir gemacht habe?«
    Clara zögerte.
    »Das kann ich nicht beurteilen. Ein Mann muss natürlich viel mehr durchmachen, und ich bin immer sehr behütet gewesen.«
    »O bitte, Clara, weich nicht aus«, unterbrach Amory sie. »Aber sprich noch ein bisschen über mich, ja?«
    »Sicher, liebend gern.« Sie lächelte nicht.
    »Das ist nett von dir. Beantworte mir erst ein paar Fragen. Bin

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