Diesseits vom Paradies
vor mir, wenn du nicht da bist – so müde; ich kenne jede einzelne Linie. Geliebte Hände!
Ihre Blicke begegnen sich sekundenlang, und sie beginnt zu weinen – ein tränenloses Schluchzen.
AMORY Rosalind!
ROSALIND O Gott, wir sind verdammt arm dran!
AMORY Rosalind!
ROSALIND O Gott, ich möchte sterben!
AMORY Rosalind, noch so einen Abend überlebe ich nicht. Du bist jetzt seit vier Tagen so. Du musst mir ein bisschen mehr Mut machen, sonst kann ich weder arbeiten noch essen noch schlafen. Er schaut hilflos herum, als suche er nach neuen Worten, um eine alte, abgedroschene Phrase zu verkleiden. Wir müssen neu anfangen. Ich find’s gut, wenn wir gemeinsam neu anfangen. Sie reagiert nicht, und sein krampfhaft fröhliches Getue fällt von ihm ab. Was ist los? [279] Er steht unvermittelt auf und läuft hin und her. Es ist Dawson Ryder, ich weiß schon. Er hat dich nervös gemacht. Du bist jetzt eine Woche lang jeden Nachmittag mit ihm zusammen gewesen. Leute kommen und erzählen mir, dass sie euch zusammen gesehen haben, und ich muss lächeln und nicken und so tun, als machte es mir nicht das Geringste aus. Und du erzählst mir überhaupt nichts von der ganzen Sache.
ROSALIND Amory, wenn du dich nicht hinsetzt, fange ich an zu schreien.
AMORY setzt sich unvermittelt neben sie O Gott.
ROSALIND nimmt liebevoll seine Hand Du weißt, dass ich dich liebe, oder?
AMORY Ja.
ROSALIND Du weißt, dass ich dich immer lieben werde.
AMORY Red nicht so; du machst mir Angst. Das klingt so, als sollten wir uns nicht haben. Sie zerdrückt ein paar Tränen, steht von der Couch auf und geht zum Sessel. Den ganzen Nachmittag habe ich schon gespürt, dass irgendwas nicht stimmt. Ich wäre beinahe verrückt geworden im Büro – hab keine Zeile zustande gebracht. Erzähl mir alles.
ROSALIND Es gibt nichts zu erzählen, wenn ich’s dir sage. Ich bin bloß nervös.
AMORY Rosalind, du spielst mit dem Gedanken, Dawson Ryder zu heiraten.
ROSALIND nach einer Pause Er hat mich den ganzen Tag drum gebeten.
AMORY Was für eine Unverschämtheit!
ROSALIND nach einer weiteren Pause Ich mag ihn.
AMORY Sag nicht so was! Das tut mir weh.
ROSALIND Jetzt stell dich nicht so idiotisch an. Du [280] weißt, dass du der einzige Mann bist, den ich je geliebt habe und je lieben werde.
AMORY schnell Dann lass uns heiraten, Rosalind – gleich nächste Woche.
ROSALIND Es geht nicht.
AMORY Warum nicht?
ROSALIND Weil es eben nicht geht. Ich wär bloß deine Squaw – in irgendeiner fürchterlichen Absteige.
AMORY Alles in allem hätten wir zweihundertfünfundsiebzig Dollar im Monat.
ROSALIND Liebling, normalerweise frisiere ich mich nicht mal selbst.
AMORY Dann tu ich es eben für dich.
ROSALIND zwischen Lachen und Weinen Danke.
AMORY Rosalind, du kannst doch nicht im Ernst daran denken, jemand anderen zu heiraten. Sag was! Du lässt mich völlig im Dunkeln tappen. Ich kann dir helfen, dagegen anzugehen, wenn du mir nur sagst, was los ist.
ROSALIND Es ist – es geht um uns. Wir sind arm dran, das ist alles. Gerade die Dinge, die ich an dir liebe, sind es, die einen ewigen Versager aus dir machen.
AMORY grimmig Und weiter.
ROSALIND Oh, es ist Dawson Ryder, natürlich. Er ist so zuverlässig – beinahe hab ich das Gefühl, er wäre ein – ein Halt für mich.
AMORY Aber du liebst ihn nicht.
ROSALIND Ich weiß, aber ich schätze ihn, und er ist ein guter Mann und ein starker.
AMORY widerwillig zugestehend Ja – das ist er.
ROSALIND Es gab da eine Kleinigkeit – am [281] Dienstagnachmittag sind wir in Rye einem armen kleinen Jungen begegnet – und Dawson nahm ihn auf den Schoß und erzählte ihm etwas und versprach ihm ein Indianerkostüm – und am nächsten Tag ist es ihm eingefallen, und er hat es gekauft – oh, das war so süß, und ich konnte nicht anders, ich musste einfach daran denken, wie nett er zu – zu unseren Kindern sein würde – für sie da sein würde – und ich mir keine Sorgen machen müsste.
AMORY verzweifelt Rosalind! Rosalind!
ROSALIND mit gespielter Schalkhaftigkeit Schau doch nicht absichtlich so leidend drein.
AMORY Wie ungeheuer wir einander verletzen können!
ROSALIND beginnt wieder zu schluchzen Es war so vollkommen – zwischen dir und mir. Wie ein Traum, nach dem ich mich immer gesehnt habe, ohne Hoffnung auf Erfüllung. Das erste wirklich selbstlose Gefühl in meinem Leben. Und ich kann es einfach nicht in einer farblosen Umgebung langsam verblassen sehen!
AMORY Das wird es nicht – ganz
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