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Diesseits vom Paradies

Diesseits vom Paradies

Titel: Diesseits vom Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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würde ihn trunkener machen als Wein. Sogar seine Träume [272] waren nun leise Geigenmusik, die wie Sommerlaute die Sommerluft durchzogen.
    Der Raum lag in völliger Dunkelheit bis auf das schwache Glühen von Toms Zigarette, dort, wo er am offenen Fenster lehnte. Als sich die Tür hinter Amory schloss, stand er einen Moment mit dem Rücken zu ihm.
    »Hallo, Benvenuto Blaine. Wie lief das Werbegeschäft heute?«
    Amory lümmelte auf einer Couch.
    »Abscheulich, wie üblich!« Die kurze Vorstellung von der hektischen Agentur wurde schnell von einem anderen Bild verdrängt. »Mein Gott! Sie ist so wundervoll!«
    Tom seufzte.
    »Ich kann dir nicht sagen«, wiederholte Amory, »wie wundervoll sie ist. Du sollst es auch gar nicht wissen. Niemand soll es wissen.«
    Ein weiterer Seufzer kam vom Fenster – ein ziemlich resignierter Seufzer.
    »Sie ist Leben und Hoffnung und Glück, sie ist meine ganze Welt.«
    Er spürte eine Träne an seinem Augenlid zittern.
    »Ach, verflucht noch mal, Tom!«
    Bittersüß
    »Lass uns so sitzen wie immer«, flüsterte sie.
    Er setzte sich in den Sessel und breitete die Arme aus, dass sie sich hineinkuscheln konnte.
    »Ich wusste, dass du heute Abend kommen würdest«, [273] sagte sie weich, »wie der Sommer, genau dann, wenn ich dich am nötigsten brauche… Liebling… Liebling…«
    Seine Lippen glitten leicht über ihr Gesicht.
    »Du schmeckst so gut«, seufzte er.
    »Wie meinst du das, Liebster?«
    »Ach, einfach süß, einfach süß…« Er zog sie enger an sich.
    »Amory«, flüsterte sie, »sobald du bereit bist für mich, heirate ich dich.«
    »Anfangs werden wir nicht viel haben.«
    »Sag das nicht!«, rief sie aus. »Es tut mir weh, wenn du dir Vorwürfe machst wegen der Dinge, die du mir nicht geben kannst. Ich hab doch dich – und mehr brauche ich nicht.«
    »Sag’s mir…«
    »Du weißt es doch, oder? Ja, du weißt es.«
    »Ja, aber ich will hören, wie du’s sagst.«
    »Ich liebe dich, Amory, von ganzem Herzen.«
    »Und wirst es immer tun?«
    »Mein ganzes Leben – o Amory…«
    »Was?«
    »Ich will dir gehören. Ich will, dass deine Familie auch meine Familie ist. Ich will Kinder von dir haben.«
    »Aber ich hab gar keine Familie.«
    »Lach mich nicht aus, Amory. Küss mich nur.«
    »Ich tue alles, was du willst«, sagte er.
    »Nein, ich tue alles, was du willst. Wir sind du, nicht ich. Oh, du bist so sehr ein Teil, so sehr alles von mir…«
    Er schloss die Augen.
    »Ich bin so glücklich, dass es mir Angst macht. Wäre es nicht schrecklich, wenn dies – wenn dies schon der Gipfelpunkt wäre?«
    [274] Sie blickte ihn verträumt an.
    »Schönheit und Liebe vergehen, ich weiß… Traurigkeit gehört auch dazu. Ich glaube, jedes große Glück ist auch ein bisschen traurig. Schönheit bedeutet den Duft der Rosen, und dann den Tod der Rosen…«
    »Schönheit heißt die Pein des Verzichts und das Ende der Pein…«
    »Und wir sind schön, Amory, ich weiß es. Ich bin sicher, Gott liebt uns…«
    »Er liebt dich. Du bist sein kostbarster Besitz.«
    »Ich bin nicht sein, ich bin dein, Amory, ich gehöre dir. Zum ersten Mal bereue ich alle früheren Küsse; jetzt erst weiß ich, wie viel ein Kuss bedeuten kann.«
    Dann rauchten sie eine Zigarette, und er erzählte ihr von seinem Tag im Büro – und, wo sie einmal wohnen würden. Manchmal, wenn er allzu weitschweifig wurde, schlief sie in seinen Armen ein, doch er liebte auch diese Rosalind – alle Rosalinds, wie er nie zuvor in seinem Leben jemanden geliebt hatte. Ungreifbar verfliegende, unwiederbringliche Stunden.
    Wässrige Episode
    Eines Tages trafen sich Amory und Howard Gillespie zufällig in der Stadt und aßen zusammen zu Mittag, und Amory hörte eine Geschichte, die ihn sehr erheiterte. Nach einigen Cocktails war Gillespie in Erzählerlaune; er begann damit, dass er Amory seine Überzeugung mitteilte, Rosalind sei ein wenig exzentrisch.
    [275] Er hatte sie auf einen Ausflug zum Schwimmen ins Westchester County begleitet, und irgendjemand erwähnte, dass Annette Kellerman einen Tag zu Besuch dort gewesen und vom Dach eines zehn Meter hohen, baufälligen Sommerhauses ins Wasser gesprungen sei. Sofort hatte Rosalind darauf bestanden, dass Howard mit ihr hinaufklettere, um sich die Sache von oben anzusehen.
    Eine Minute später, als er oben saß und seine Füße über den Rand baumeln ließ, schoss eine Gestalt an ihm vorbei: Rosalind, die Arme in wunderschöner Butterfly-Haltung ausgebreitet, segelte durch die Luft in

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