Diesseits vom Paradies
Finger und gibt ihn ihm. Ihre Augen füllen sich wieder mit Tränen.
AMORY seine Lippen auf ihrer tränenfeuchten Wange [285] Nicht! Bitte, behalt ihn doch – oh, brich mir nicht das Herz!
Sie drückt ihm den Ring sanft in die Hand.
ROSALIND gebrochen Geh jetzt lieber.
AMORY Leb wohl…
Sie sieht ihn noch einmal an, mit unendlicher Sehnsucht, unendlicher Traurigkeit.
ROSALIND Vergiss mich niemals, Amory…
AMORY Leb wohl…
Er geht zur Tür, sucht nach dem Griff, findet ihn – sie sieht ihn den Kopf zurückwerfen – und fort ist er. Fort – sie erhebt sich halb von der Couch und lässt sich dann vornüber in die Kissen fallen.
ROSALIND O Gott, ich möchte sterben! Nach einem kurzen Augenblick steht sie auf und tastet sich mit geschlossenen Augen zur Tür. Dann dreht sie sich um und schaut noch einmal das Zimmer an. Hier haben sie gesessen und geträumt: hier die Schale, die sie so oft mit Zündhölzern für ihn gefüllt hat, dort die Markise, die sie an einem langen Sonntagnachmittag diskret heruntergelassen haben. Mit umflortem Blick steht sie da und erinnert sich. Laut sagt sie O Amory, was habe ich dir nur angetan?
Und tief unter der schmerzhaften Trauer, die mit der Zeit vergehen wird, spürt ROSALIND, dass sie etwas verloren hat, doch sie weiß nicht, was, sie weiß nicht, warum.
[286] II
Experimente zur Gesundung
Die Knickerbocker-Bar, auf die jovial und farbenfroh Maxfield Parrishs »Old King Cole« herablächelte, war gut besucht. Amory blieb vor dem Eingang stehen und sah auf seine Armbanduhr; er wollte die genaue Zeit wissen, denn sein Hang zum Katalogisieren und Klassifizieren verlangte, die Dinge klar abzugrenzen. Später würde es ihm eine gewisse Genugtuung bereiten, daran denken zu können, dass »diese Sache am Donnerstag, dem 10. Juni 1919, genau um zwanzig Minuten nach acht zu Ende war«. Dies berücksichtigte den Weg von ihrem Haus bis hierher – einen Weg, an den er später nicht die leiseste Erinnerung hatte.
Er befand sich in einem ziemlich desolaten Zustand: Zwei Tage Kummer und Nervosität, schlaflose Nächte und unberührte Mahlzeiten, die in der großen Gefühlskrise gipfelten und mit Rosalinds abrupter Entscheidung endeten – diese Anspannung hatte sein Bewusstsein in ein gnädiges Koma fallen lassen. Als er am Buffet ungeschickt mit den Oliven hantierte, kam ein Mann auf ihn zu und sprach ihn an, worauf ihm die Oliven aus den zitternden Händen fielen.
»Hallo, Amory…«
Es war jemand, den er aus Princeton kannte; er hatte keine Ahnung mehr, wie er hieß.
»Hallo, alter Junge…«, hörte er sich sagen.
[287] »Jim Wilson heiß ich – weißt du wohl nicht mehr.«
»Klar, sicher doch, Jim. Ich erinnere mich gut.«
»Gehst du zum Ehemaligentreffen?«
»Versteht sich!« Gleichzeitig wurde ihm klar, dass er nicht zum Ehemaligentreffen gehen würde.
»Warst du in Übersee?«
Amory nickte mit seltsam starrem Blick. Als er zurücktrat, um jemanden vorbeizulassen, fegte er den Teller Oliven mit lautem Krach zu Boden.
»Pech«, murmelte er. »Trinkst du was?«
Wilson kam näher und klopfte ihm mit diplomatischer Gewichtigkeit auf den Rücken.
»Du hast schon ’ne Menge getankt, alter Junge.«
Amory sah ihn verständnislos an, bis Wilson unter dem forschenden Blick verlegen wurde.
»Was heißt ’ne Menge!«, sagte Amory schließlich. »Ich hab heute noch keinen Tropfen getrunken.«
Wilson blickte ungläubig.
»Also was ist jetzt, trinkst du was oder nicht?«, rief Amory grob.
Gemeinsam begaben sie sich zur Bar.
»Einen Rye-Highball.«
»Ich nehm nur einen Bronx.«
Wilson trank noch einen; Amory trank einige mehr. Sie beschlossen, sich hinzusetzen. Um zehn Uhr wurde Wilson durch Carling vom 1915er-Jahrgang ersetzt. Amory, dem sich alles prachtvoll im Kopf drehte, wo sich Schicht um Schicht besänftigend auf die wunden Stellen seines Geistes legte, verbreitete sich weitschweifig über den Krieg.
»Se-hi-mental wa’ das«, wiederholte er hartnäckig, mit [288] eulenhafter Weisheit, »sswei Jahre mein’s Lebns buchstäblich verschwendet. Ideale verlor’n, bin völlich ssum Tier gewor’n.« Er schüttelte seine Faust ausdrucksvoll in Richtung Old King Cole. »Bin ssum Preußen gewor’n, besonders bei Fraun. War ganz streng mit Fraun im College. Jetz isses mir egal.« Er unterstrich seine Prinzipienlosigkeit, indem er mit weit ausholender Geste eine Seltersflasche zu Boden schmetterte, doch unterbrach das nicht seinen Redefluss. »Nimm mit, wassu kriegn
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