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Diesseits vom Paradies

Diesseits vom Paradies

Titel: Diesseits vom Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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so sehr die Zähne zusammen, dass die Tränen ihm in Sturzbächen aus den Augen rannen.
    »Oh… mein kleines Mädchen, mein ein und alles… Oh, mein Mädchen, komm zurück, komm zurück! Ich brauch dich… brauch dich… wir sind so arm dran… nur Unglück haben wir einander gebracht… Sie werden sie von mir fernhalten… Ich darf sie nicht mehr sehen, darf nicht ihr Freund sein. So muss es sein – so muss es…«
    Und dann wieder:
    »Wir waren so glücklich, so unendlich glücklich…«
    Er stand auf und warf sich in einem sentimentalen Gefühlsausbruch aufs Bett; dort blieb er erschöpft liegen, während ihm allmählich dämmerte, dass er die Nacht zuvor sehr betrunken gewesen war und dass sich in seinem Kopf schon wieder alles wie wild drehte. Er lachte, stand auf und sank wieder in Morpheus’ Arme…
    Gegen Mittag stieß er auf eine lustige Gesellschaft in der Biltmore-Bar, und die Orgie ging wieder los. Später [292] erinnerte er sich undeutlich, mit einem britischen Offizier, der ihm als »Captain Corn, aus Seiner Majestät Infanterie« vorgestellt worden war, über französische Dichtung diskutiert zu haben, und er erinnerte sich an seinen Versuch, beim Lunch Clair de Lune zu rezitieren; dann schlief er in einem großen, bequemen Sessel, bis ihn kurz vor fünf eine andere Gesellschaft fand und weckte; hierauf folgte, den verschiedenen Temperamenten entsprechend, die angemessene alkoholische Vorbereitung auf die schwere Prüfung des Abendessens. Im Tyson kauften sie Karten für ein Theaterstück, das vier Drinks einschloss – ein Stück mit zwei monotonen Stimmen, verschwommenen, düsteren Szenen und Lichteffekten, denen er nur schwer folgen konnte, weil seine Augen nicht mitspielen wollten. Später bildete er sich ein, es müsse sich um The Jest gehandelt haben…
    Dann ins Cocoanut Grove, wo Amory draußen auf einem kleinen Balkon wieder einschlief. Im Chanley in Yonkers wurde er beinahe logisch, und durch peinlich genaue Kontrolle der Anzahl von Highballs, die er zu sich nahm, wurde er geradezu hellsichtig und wortreich. Er stellte fest, dass die Gesellschaft aus fünf Männern bestand, von denen er zwei flüchtig kannte; in einem Anfall von Redlichkeit wollte er unbedingt seinen Anteil an der Rechnung selbst bezahlen und bestand, zum Vergnügen der umliegenden Tische, lautstark darauf, diese Angelegenheit hier und jetzt zu regeln…
    Jemand bemerkte, dass am Nebentisch ein berühmter Kabarettstar saß, also stand Amory auf, näherte sich ihr galant und stellte sich vor… dies verwickelte ihn in eine Auseinandersetzung, zunächst mit ihrer Begleitung und dann [293] mit dem Oberkellner – wobei Amory eine hochmütige und übertrieben höfliche Haltung einnahm –, schließlich willigte er ein, sich zu seinem eigenen Tisch bringen zu lassen, nachdem man ihn mit einer unwiderlegbaren Logik konfrontiert hatte.
    »Hab beschlossen, mich umzubringen«, erklärte er plötzlich.
    »Wann? Nächstes Jahr?«
    »Jetzt. Morgen früh. Nehm mir ein Zimmer im Commodore, steig in die heiße Badewanne und schneid mir die Pulsader auf.«
    »Jetzt wird er verrückt!«
    »Du brauchst noch ’n Drink, alter Junge!«
    »Wir sprechen morgen noch mal drüber.«
    Doch Amory war nicht abzubringen, zumindest nicht von der Diskussion.
    »Ist’s euch noch nie so gegangen?«, fragte er in vertraulichem fortaccio.
    »Klar!«
    »Oft?«
    »Chronischer Zustand bei mir.«
    Dies rief eine Diskussion hervor. Einer behauptete, er sei manchmal so deprimiert, dass er ernstlich daran denke. Ein anderer stimmte zu, dass es nichts gebe, wofür es sich zu leben lohne. »Captain Corn«, der wieder zu der Gesellschaft gestoßen war, vertrat die Auffassung, dass man bei angeschlagener Gesundheit am ehesten zu solchen Gedanken neige. Amorys Vorschlag war, sie sollten alle einen Bronx bestellen, Glassplitter hineinfüllen und das Ganze in einem Zug austrinken. Zu seiner Erleichterung fand die [294] Idee keinen Beifall, und nachdem er seinen Highball ausgetrunken hatte, stützte er sein Kinn in die Hand und den Ellbogen auf den Tisch – eine vorzügliche und sehr unauffällige Schlafhaltung, wie er sich versicherte – und fiel in tiefen Schlummer…
    Er wurde von einer Frau geweckt, die sich an ihn klammerte, einer hübschen Frau mit braunem zerzaustem Haar und tiefblauen Augen.
    »Bring mich nach Hause!«, rief sie.
    »Hallo«, sagte Amory blinzelnd.
    »Ich mag dich«, erklärte sie zärtlich.
    »Ich dich auch.«
    Er bemerkte, dass irgendwo im

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