Dietz, William C. - Mass Effect 4 - Blendwerk
hatte sie sich zwar nichts gebrochen, aber sie hatte das Bewusstsein verloren und war zurückgelassen worden, als Zon und die anderen loszogen, um Kim und Leng wieder einzufangen.
Das Ganze war beschämend, und davon abgesehen, dass es Gillians Ansehen in der Gruppe beschädigte, konnte Kims und Lengs Flucht auch gravierende Folgen nach sich ziehen. Was, wenn die Gruppe beschloss, Leng zu töten? Wenn sie den Köder umbrachte, mit dem Gillian den Unbekannten anlocken wollte? In diesem Fall hätte sie auf der ganzen Linie versagt. Der Gedanke daran erfüllte sie mit Angst.
Von diesen Überlegungen geplagt, hatte sich Gillian ebenso wie alle anderen Biotiker, die nicht zum Wachdienst eingeteilt waren, unter der Kuppel auf der Hauptebene der Höhle eingefunden. Sie saßen auf kunterbunt zusammengewürfelten Teppichen, die in U-Form angeordnet worden waren und dorthin wiesen, wo Leng und Kim gefesselt auf stabilen Stühlen saßen. Beide gaben ihr Bestes, möglichst ausdruckslos dreinzuschauen, doch Leng schaffte es ein wenig besser als Kim. Mythra Zon ergriff das Wort.
„Heute ist ein trauriger Tag. Wir alle sind Biotiker. Das bedeutet, dass wir von Natur aus anderen Wesen überlegen sind. Wir haben im Gegensatz zu ihnen einen freien Willen und können so auch falsche Entscheidungen treffen. Genau das hat Cory Kim getan, als sie ihr individuelles Glück über die Bedürfnisse der Organisation stellte.“
Kim blickte sich um. „Lasst es uns auf den Punkt bringen! Ja, früher hegte ich tatsächlich Gefühle für Kai. Aber deshalb habe ich ihm nicht bei seiner Flucht geholfen.“
Zon war überrascht. „Nicht? Warum dann?“
„Weil auch ich für Cerberus arbeite. Wir sind überall, du Freak! Vergiss das nicht!“
Leng stöhnte. „Bist du wahnsinnig? Warum hast du …“
Leng konnte seine Frage nicht mehr beenden. Er zuckte zusammen, weil Sallus ihm einen Schocker an den Nacken hielt, und sackte bewusstlos in seine Fesseln. Kim blickte stur weiter auf die vor ihr versammelten Biotiker, biss sich jedoch auf die Unterlippe. Kleine Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn. Zon blickte sie zornig an. „Das war eine gute Frage. Warum erzählst du uns das?“
„Weil ich stolz darauf bin“, antwortete Kim mit hoch erhobenem Kopf. „Und weil ihr mich so oder so töten werdet.“
Zon nickte. „Du bist eine Spionin, und im Gegensatz zu Leng brauchen wir dich nicht.“
Leng hatte die Besinnung zurückerlangt. Er öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen, schloss ihn jedoch wieder, als Sallus ihm mit dem Schocker drohte. Der Cerberusagent war zur Untätigkeit verdammt.
Zons Blick wanderte über die Menge und blieb auf Gillian haften. „Die Entscheidung ist gefallen. Wir brauchen einen Vollstrecker. Weil Cory Kim die Biotikerin Gillian Grayson angegriffen hat, gebührt dieser das Privileg, die Verräterin zu töten. Tritt vor, Gillian, und nimm Rache.“
Gillian fühlte sich hundeelend. Sie wollte nicht als Henker herhalten und wusste, dass, ganz gleichgültig, was Zon sagte, sie für einen Moment der Unaufmerksamkeit bestraft wurde, der Leng die Flucht ermöglicht hatte. Als Gillian sich schwerfällig erhob und vortrat, tobte in ihrem Innern ein wütender Kampf. Was, wenn sie es ablehnte, Kim zu töten?
Dann werden sie dich einsperren oder ebenfalls töten, sagte ihr eine innere Stimme. Damit hast du keine Möglichkeit mehr, deinen Vater zu rächen.
Also ist der Preis der Rache die Rache selbst?, fragte Gillian.
Ja, antwortete die Stimme. In diesem Fall ist es so. Denk an deinen Vater und daran, was der Unbekannte ihm angetan hat und anderen noch antun wird, wenn man ihn am Leben lässt. Es ist schade um Kim. Aber sie hat ihr Schicksal selbst gewählt. So wie du deines jetzt wählen musst.
Die Zuneigung in Zons Augen war nicht zu übersehen, als Gillian zu ihr trat und eine große Pistole von ihr entgegennahm. „Schieß ihr in den Kopf“, instruierte Zon sie, „und nimm ihren Platz im Rat ein.“
Für einen Augenblick empfand Gillian einen Anflug der Befriedigung, denn sie wusste, dass sie als Ratsmitglied sicherstellen konnte, dass der Unbekannte tatsächlich getötet wurde. Als sie die schwere Pistole in ihrer Hand spürte und die anderen Biotiker sie voller Erwartung anschauten, startete Kim einen letzten Versuch, sich zu befreien. Doch sie war gefesselt und konnte sich nicht ausreichend auf ihre biotischen Fähigkeiten konzentrieren. Das Ergebnis war ein schwaches und nutzloses „Aufspalten“,
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