Dietz, William C. - Mass Effect 4 - Blendwerk
setzte die Brille auf, die Kim ihr hinhielt.
Kim runzelte die Stirn. „Einer unserer Leute wird ihm folgen. Warum?“
„Oh, nichts. Danke, Cory. Bitte zeigen Sie mir den Weg.“
♦ ♦ ♦
Bereits seit Stunden beobachtete Kai Leng das quarianische Lagerhaus von der anderen Seite der Straße aus. Bislang hatte er keinen Erfolg gehabt. Noch immer war er wütend darüber, dass er Gillian in der Nacht zuvor verfehlt hatte. Dass sie aus dem Club gestürmt war, hatte ihn überrascht, doch so etwas durfte ihm einfach nicht passieren.
Um sich zu bestrafen für sein unentschuldbares Versagen, beschloss Leng, das Lagerhaus so lange zu observieren, bis seine Zielperson es verließ – selbst wenn es den ganzen Tag dauern sollte. Er war müde und hungrig, und seine Entschlossenheit ließ zusehends nach.
Plötzlich beschleunigte Lengs Puls. Die Tür des Lagerhauses wurde geöffnet, und eine menschliche Frau trat heraus. War das Gillian? Leng setzte das Scharfschützengewehr an. Als das Fadenkreuz über das Gesicht der Frau glitt, sah er, dass es tatsächlich seine Zielperson war. Sollte er einen Schuss wagen und das Risiko eingehen, von den quarianischen Wachen unter Feuer genommen zu werden? Oder sollte er Gillian folgen, bis sie sich weit genug von dem Lagerhaus entfernt hatte?
Noch bevor er eine Entscheidung treffen konnte, tauchte eine zweite Frau auf und verdeckte Gillian. Leng fluchte. Wenige Sekunden darauf fluchte er erneut, als der Schock der Erkenntnis ihn traf. Er kannte die andere Frau! Sie hatte mit ihm in einem Gefängnis der Allianz gesessen. Es war Cory Kim, die Biotikerin, die einstmals seine Geliebte gewesen war. Doch das war lange vorbei. Was machte sie hier auf Omega? Und warum sprach sie mit Gillian?
Leng versuchte, eine plausible Erklärung für Corys unerwartetes Auftauchen zu finden, während die beiden Frauen das Lagerhaus hinter sich ließen. Sein erster Impuls war, ihnen zu folgen. Doch was, wenn eine oder mehrere Personen die Gegend überwachten und Cory deckten? Das lag immerhin im Bereich des Möglichen. Aus diesem Grund zwang Leng sich, etwa dreißig Sekunden zu warten und die Gegend unter dem Aspekt im Auge zu behalten, ob irgendjemand oder irgendetwas einen verdächtigen Eindruck machte. Das war auf Omega keine leichte Aufgabe, da praktisch jedermann eine Gefahr darstellen konnte. Leng konnte nichts Auffälliges entdecken.
Er hätte sich gerne mehr Zeit genommen, doch dann wären Cory und Gillian möglicherweise in der Menge verschwunden. Gillian hatte ihren Rucksack mitgenommen, was darauf hindeutete, dass sie nicht zu dem Lagerhaus zurückkehren wollte. Rasch nahm Leng sein Gewehr auseinander, steckte die einzelnen Teile in das Futteral und warf es sich über die Schulter, bevor er die Verfolgung der beiden Frauen aufnahm. Die Kunst der Verfolgung bestand darin, sich ein wenig zurückfallen zu lassen, doch nicht zu sehr, um die Zielperson nicht aus dem Auge zu verlieren.
Die Straßen waren voller Fußgänger, was zu seinem Vorteil war, ihm jedoch zugleich auch Probleme bereitete. Glücklicherweise schien keine der beiden Frauen zu befürchten, dass man ihnen folgte, nahmen sie sich doch nicht einmal die Zeit, einen Blick über die Schulter zu werfen. Die Verletzungen an seinem Bein, obwohl verheilt, bereiteten Leng wieder einmal Schmerzen.
Plötzlich stürmte eine Gruppe von zehn oder fünfzehn Jugendlichen aus einer Seitenstraße heraus und direkt auf Leng zu. Sie jagten einen Teenager – zumindest erschien es ihm so, da das Kauderwelsch, das sie brüllten, völlig unverständlich war. Ebenso schnell, wie sie aufgetaucht waren, verschwanden sie auch wieder. Als Leng die Straße entlangblickte, musste er voller Schrecken feststellen, dass auch die beiden Frauen verschwunden waren. War das ein Zufall, oder war er auf ein Ablenkungsmanöver hereingefallen, das für ihn bestimmt war? Er wusste es nicht.
Leng seufzte. Er würde zu seiner sicheren Unterkunft zurückkehren, sich ein wenig ausruhen und am nächsten Morgen zum Bettlerkönig gehen. Wenn es ihm ein Mal gelungen war, Gillian aufzustöbern, würde es ihm auch ein zweites Mal glücken, sofern ihm nicht ein Kopfgeldjäger zuvorkam. Diese Möglichkeit zauberte ein bösartiges Lächeln auf sein Gesicht, und er fühlte sich schlagartig besser. Positiv denken! Das war der Schlüssel zum Erfolg.
♦ ♦ ♦
Es war bereits später Nachmittag, als Anderson, Kahlee und Hendel vor dem quarianischen Lagerhaus standen.
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