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Diktator

Diktator

Titel: Diktator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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nein.«
    Irma schnaubte. »Es überrascht mich, dass du ihm nicht erklärst, das würde ihn hart machen. Das hast du doch immer zu Jack gesagt. ›Ich musste meine Zeit im letzten Krieg ableisten, und jetzt bist du an der Reihe. ‹ Du hast ihn als Mädchen bezeichnet, weil er an die technische Fachschule wollte.« Sie lachte bitter.
    »Lass Jack da raus.«
    »Fred, ich verstehe das«, sagte Ernst hastig. »Wirklich. Aber ich bin Obergefreiter, ein Corporal. Ich habe wenig Einfluss auf die Politik.«
    »Du bist ein verdammter nutzloser kleiner Scheißkerl, das bist du.«
    Irma drehte sich zu ihm um. Auf einmal war sie wütend. »Oh, und du bist so ein großer Mann, was? Sitzt hier Abend für Abend und hackst auf Ernst herum. Warum legst du dich nicht mit der Gestapo an? Nein,
das tust du nicht, weil du ein Feigling und ein Tyrann bist, du lässt deine Wut lieber an Kindern und Frauen und …«
    »Ich warne dich, so redest du nicht mit mir.« Freds Gesicht war purpurrot, und an seinem Hals trat eine Ader hervor.
    »Warum schreit ihr denn so?«
    Die drei drehten sich um.
    Alfie stand in der Tür. Er wuchs rasch, war aber so dünn, dass seine schlecht sitzenden Kleider an ihm hingen; seine Handgelenke und Knöchel standen hervor. Sein Gesicht war fleckig, als hätte er geweint. Tatsächlich hielt er den Brief vom Arbeitsdienst-Pflichtprogramm in der Hand. Ernst stellte sich vor, dass er ihn den ganzen Tag mit sich herumgetragen hatte, so wie sein Vater seinen Zorn.
    Fred machte einen sichtbaren Versuch, sich zu beruhigen. »Ist schon gut, Sohn. Wir haben nicht geschrien.«
    »Doch, habt ihr. Es ist meine Schuld, stimmt’s?«
    Fred ging zu Alfie hinüber und nahm ihn in seine massigen Arme. Seine Hemdsärmel waren immer noch hochgekrempelt. »O nein, mein Sohn, so ist das nicht. Es regt uns auf, dass du zur Arbeit weg musst, aber es ist nicht deine Schuld, denk das bloß nicht.«
    Ernst konnte Alfies sehnsüchtigen Blick nicht ertragen. Sie wussten beide, dass Alfies beste Chance, verschont zu werden, ein ärztliches Attest war, aber solche Befreiungen erhielten meist nur diejenigen, die gute Verbindungen hatten und reich waren. »Es ist
bloß Arbeit, Alfie«, sagte er. »So schlimm wird’s schon nicht werden. Du wirst mit anderen in deinem Alter und auch Älteren zusammen sein.«
    »Siehst du«, sagte Fred. Er boxte Alfie scherzhaft gegen die Brust und zwickte ihn in die Arme. »Ein bisschen Arbeit an der frischen Luft. Besser als Schule, hm?«
    »Kriegen wir mehr zu essen?«, wandte sich Alfie an Ernst.
    »Das weiß ich nicht. Ich werde versuchen, es rauszufinden.«
    »Jetzt gibt’s jedenfalls was zu essen«, sagte Irma. Sie hatte den Braten auf einem großen Servierteller angerichtet; die Kruste war goldbraun. »Also Schluss mit dem Theater. Fred, komm her und schneide ihn auf. Und Alfie, sag deiner Schwester, sie …«
    Es klopfte an der Tür.
    Sie erstarrten alle. Freds und Ernsts Blicke trafen sich, und Ernst wusste, was Fred dachte.
    Viv kam die Treppe heruntergelaufen. Sie wirkte aufgeregt, aber nicht sonderlich ängstlich. »Hat es geklopft? Wer ist da?«
    »Sei still.« Fred ging mit schweren Schritten zur Tür und öffnete sie.
    Es war die Stimme einer Frau, und sie sprach Englisch mit einem starken Akzent. »Ich suche Ernst Trojan. Ich … er hat einmal hier gewohnt …«
    Ernst lief zur Tür und schob sich an Fred vorbei. »Claudine !«

XXII
    Sie trug einen taillierten Mantel, Strümpfe und einen schwarzen Hut: elegante Kleider, die jetzt jedoch mit Schlamm bespritzt und zerrissen waren. Sie sah erschöpft aus, und ein riesiger blauer Fleck verunstaltete eine Seite ihres Gesichts. »Mein Gott, Claudine, was ist denn mit dir passiert? Komm rein, komm rein, raus aus der Kälte …« Er fasste sie am Arm und führte sie in die Küche. Im Licht sah der Bluterguss in ihrem Gesicht noch schlimmer aus, und Ernst bemerkte, dass ihre Strümpfe Löcher hatten.
    Die Millers standen dabei und machten große Augen.
    »Ich bitte um Verzeihung«, sagte Ernst auf Englisch. »Fred, Irma, das ist eine Freundin. Sie heißt Claudine Rimmer und kommt aus Frankreich.«
    »Ich konnte nirgends anders hin«, sagte Claudine auf Deutsch. »Ich wusste einfach nicht …«
    »Das ist mein Haus«, fauchte Fred, »hier wird Englisch gesprochen.«
    »Ja«, sagte Ernst hastig. »Tut mir leid. Natürlich.«
    Irma überwand ihren Schock. »Oh, beachten Sie ihn gar nicht. Kommen Sie rein. Ziehen wir Ihnen erst mal diesen Mantel aus.

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