Diktator
Schritten über glitschigen Kies. Der Strand war lang und fiel zum Wasser hin ab. Es schien ein furchtbar weiter Weg bis zu den Bunkern hinter dem Deich zu sein, die noch immer ihr boshaftes Feuer spien. Und der Strand war bereits mit Männern übersät, die reglos dalagen, wo sie zusammengebrochen waren, sowie mit den Wrackteilen von Booten und Lastkähnen.
Die Geschosse automatischer Waffen zischten durch die Luft. Ernst warf sich flach auf den Boden, landete schwer, und sein Tornister knallte ihm wie ein Faustschlag zwischen die Schulterblätter.
Er sah, dass nur wenige Meter zu seiner Rechten ein niedriger, hölzerner Wall war, wie eine Buhne. Dahinter kauerten Männer. Vielleicht fand er bei ihnen ein wenig Deckung, sofern er dorthin gelangte. Er rollte sich zu der Buhne, herum und herum, wobei ihn der Tornister immer wieder in den Rücken stieß. Eine verirrte Kugel schlug nur Zentimeter vor seinem rechten
Auge in den Kies, und ein Stein barst und bombardierte sein Gesicht mit schrapnellartigen Splittern. Er schrie auf und spürte den brennenden Schmerz blutender Wunden.
Er erreichte die Buhne und drückte sich an das dicke, dunkle und vom Seetang glitschige Holz. Es bot nicht viel Schutz, war aber besser als nichts, besser, als ungeschützt draußen auf dem Kies zu liegen wie ein gestrandeter Tümmler. Die Männer, die bereits hier lagen, waren durchnässt, mit wildem Blick und teilweise verwundet. Keiner von ihnen gehörte zu seiner Kompanie.
Er riskierte einen Blick über die Buhne. Unmittelbar vor ihm stand ein Bunker. Ernst befand sich direkt in dessen Schusslinie. Er konnte sich die Männer darin, die um ihr Leben kämpften, nicht vorstellen; der Bunker sah aus wie etwas Übermenschliches, dumpf vor sich hin Brütendes, ein schlitzäugiges Ungeheuer, das Blei nach ihm spuckte. Der Strand davor war ein von Kratern durchzogenes Chaos, Männer krochen herum, lagen still, suchten Deckung in Granattrichtern oder hinter Schiffstrümmern. Er sah die schwarzen Wolken von Mörserfeuer, hörte das Peitschen von Kugeln, und von Granateinschlägen stiegen giftige Dämpfe und glutheiße Schrapnell-Sprühwolken empor. Über ihm ging die Luftschlacht weiter, großenteils verborgen von der schmutzig-trüben, niedrigen Wolkendecke. Die RAF-Jäger kamen so tief herunter, dass sie die Männer am Strand mit ihren Geschützen bestreichen konnten. Und es waren auch Flugzeuge der Luftwaffe
mit von der Partie; er sah, wie ein Stuka herunterkam und eine englische Geschützstellung angriff. Es roch nach Kordit, salziger Meeresgischt und Blut, ein schwerer, Übelkeit erregender Geruch.
An einem Wall weiter oben drängten sich weitere Männer Schutz suchend zusammen; ihre durchnässten Kampfanzüge waren dunkel. Ernst erkannte, dass er auf eine der schwarzen Linien gestoßen war, die er vom Meer aus gesehen hatte: schwarze Bänder aus sterblichen Menschen, die sich hinter jede Deckung kauerten, die sie finden konnten, und am Leben zu bleiben versuchten.
So sollte es eigentlich nicht sein, rief er sich ins Gedächtnis. Offenbar hatte man den englischen Widerstand unterschätzt. Ein Schuss traf das Holz nahe bei seinem Gesicht, und er zog den Kopf wieder ein.
Hier konnte er nicht bleiben. Er sah sich um und erkannte, dass andere, die an der Buhne lagen, dasselbe dachten. Ein Mann, ein Unterfeldwebel, hob den Arm.
Ernst bewegte sich mit den anderen. Und zum ersten Mal seit seiner Landung in England hob er seine Waffe und schoss.
Die Soldaten rückten abwechselnd strandaufwärts vor. Das war eine langwierige und mühselige Angelegenheit. Es ging darum, dass man den Kopf hob, einen Schuss abgab, um die anderen zu decken, und dann, wenn sie feuerten, die Chance nutzte, um selber ein Stück weiterzukriechen, bevor man sich wieder duckte. Aus den Bunkern wurde noch immer geschossen. Auch
am Strand selbst lauerten Gefahren; Ernst wäre beinahe in einen improvisierten Unterstand gefallen, der aus einem im Kies begrabenen Stück Abflussrohr bestand, aber der Engländer darin war bereits tot.
Und dann hatte sich eine Mörserstellung eingeschossen, und überall um Ernst herum regneten Granaten auf den Strand. Männer und Ausrüstungsteile wurden hoch in die Luft geschleudert, andere Soldaten in Sekundenbruchteilen in Stücke gerissen und ihre Gliedmaßen verstreut. Ernst ertappte sich dabei, wie er verzweifelt über die Körper der Gefallenen kroch. Man fand sogar ein wenig Deckung, wenn man sich hinter eine Leiche duckte.
Dann sah er
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