Dimension 12
nach. Er fand die Mittelstation reichlich verwirrend. Seiner Meinung nach war sie eine Art Raumstation, eine rotierende Kugel begrenzter Größe, die in viele Kammern unterteilt war. Da jedoch keine Fenster vorhanden waren, blieb er auf Vermutungen angewiesen. Die Anlage war ziemlich klein, kaum größer als ein geräumiges Bürohaus. Den größten Raum beanspruchte das Kraftwerk. Alfieri wäre gerne geblieben, um sich die Generatoren anzusehen, aber Vuor trieb ihn weiter. Alfieri lernte eine Cafeteria kennen, ein kleines Zimmer, in dem er wohnen sollte, eine Art Gotteshaus und schließlich die Büros der leitenden Angestellten. Vuor machte einen ungeduldigen Eindruck. Stumme Gestalten glitten durch die Räume der Mittelstation. Alfieri zählte gegen fünfzig verschiedene Wesensarten. Fast alle waren Sauerstoffatmer, die die Allzweck-Atmosphäre der Anlage vertrugen, aber einige waren maskiert und geheimnisvoll. Sie nickten Vuor zu, starrten Alfieri an. Beamte, dachte Alfieri, die den täglichen Kleinkram erledigen. Und jetzt gehöre ich zu ihnen, bin selbst ein kleinkarierter Bürokrat. Aber ich lebe und werde durch das Meer amtlicher Vorschriften waten, um meine Dankbarkeit zu beweisen.
Sie kehrten in das eiförmige Büro mit den weichen, feuchten, rosigen Wänden zurück.
»Welche Pflichten werde ich haben?« fragte Alfieri abermals.
»Du wirst jeden interviewen, der auf der Mittelstation landet und seine Reise fortsetzen möchte.«
»Aber das ist deine Aufgabe!«
»Nicht mehr«, sagte Vuor. »Meine Zeit ist um. Du bist meine Ablösung. Sobald du die Arbeit aufnimmst, bin ich frei.«
»Du hast von einem Verwaltungsposten gesprochen, bei dem ich organisieren und planen sollte…«
»Dies hier ist administrative Arbeit. Du mußt die Feinheiten der Situation eines jeden Antragstellers abwägen. Du mußt auch wissen, welche Möglichkeiten dir jenseits der Mittelstation zur Verfügung stehen. Unter Berücksichtigung all dieser Voraussetzungen mußt du dann beurteilen, wen du weiterleitest, und wen du zurückschickst.«
Alfieris Hände zitterten. »Bei mir liegt die Entscheidung? Ich bin es, der sagt: du gehst zurück und verfaulst und du darfst gesund werden? Ich stelle für die einen das Todesurteil und für die anderen die Begnadigung aus? Nein, das mache ich nicht. Ich bin nicht Gott!«
»Ich auch nicht«, sagte Vuor sanft. »Oder glaubst du, daß ich dieses Amt gerne ausübe? Aber jetzt darf ich es niederlegen. Ich bin hier fertig. Fünf Jahre lang war ich Gott, Alfieri. Jetzt bist du an der Reihe.«
»Teile mir eine andere Arbeit zu. Es muß doch auch andere Aufgaben geben, für die ich mich eigne!«
»Schon möglich. Aber du eignest dich am besten für dieses Amt. Du verstehst es, überlegte Entscheidungen zu treffen. Und vergiß nicht, Alfieri: du bist meine Ablösung. Wenn du mein Amt nicht antrittst, muß ich weitermachen, bis sich ein anderer findet, der imstande ist, es zu übernehmen. Ich bin lange genug Gott gewesen, Alfieri.«
Alfieri schwieg. Er senkte den Blick in die goldenen Augenschlitze. Zum erstenmal glaubte er, deuten zu können, was diese Augen ausdrückten: Qual. Die Qual des Atlas, auf dessen Schultern das Gewicht einer Welt lastete. Vuor litt. Und er, Franco Alfieri, konnte ihn von seiner Qual befreien, indem er selbst die Last auf sich nahm.
»Wir haben dein Gesuch unter der Voraussetzung bewilligt, daß du für uns arbeiten würdest. Du weißt jetzt, worin deine Aufgabe besteht. Du bist uns verpflichtet, Alfieri.«
Alfieri nickte. Und wenn er sich weigerte, das Amt zu übernehmen? Würden sie ihm wieder seinen Krebs zurückgeben?
Nein. Sie würden einen anderen Verwendungszweck für ihn finden. Und Vuor mußte auch weiterhin auf seinem Posten ausharren. Alfieri verdankte diesem gequälten Fremden sein Leben. Es wäre unverzeihlich, Vuors Pflichten auch nur um eine einzige Stunde zu verlängern.
»Ich nehme die Verpflichtung an«, sagte Alfieri.
Der Ausdruck in den Augenschlitzen des Fremden konnte nur Seligkeit bedeuten.
Manches mußte Alfieri noch für seinen neuen Beruf lernen. Dann war er auf sich selbst angewiesen. Er paßte sich rasch an. Widerspruchslos fügte er sich in seine neue Existenz als Beamter: als Wohnung ein Zimmer anstelle einer Reihe von Villen; Mahlzeiten, die nicht von Chefköchen, sondern vom Computer hergestellt wurden; lange Arbeitszeit und wenig Erholung. Aber er lebte. Nach Ablauf von fünf Jahren winkte ihm wieder die Freiheit.
Er schickte die
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