Diner des Grauens
schon, Blödmann. Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit.«
Er schüttelte sehr langsam den Kopf. »Auf keinen Fall. Auf keinen Fall. Ich fasse keine toten Typen an.«
»Doch, das wirst du.« Sie stemmte die Hände in die Se i ten und tippte mit dem Fuß ungeduldig auf den Boden.
»Nein, werde ich nicht, und du kannst mich nicht zwi n gen!«
»Sei nicht so ein Feigling!«
»Auf keinen Fall!«
Tammy war auf eine solche Reaktion vorbereitet. Er ha t te sich einmal fast in die Hose gemacht, als sie die Finge r knochen eines gehängten Mannes sammeln mussten. Seine jugendliche Angst vor den Toten war ein weiteres gewic h tiges Hindernis zwischen ihr und dem Schicksal.
»Na gut.«
Sie stellte ihren Rucksack ab und holte eine Cola heraus. Sie öffnete sie und ließ ihre Finger am Flaschenhals auf und ab gleiten.
»Wenn du nicht willst, musst du nicht.«
Sie führte die Flasche fast bis an den Mund und b e feuchtete die Lippen mit der Zunge.
Chads hormonell überbelastete Knie wurden weich.
Tammy legte ihre Lippen um den Flaschenhals und nahm einen tiefen, tiefen Schluck. Ein Tropfen lief ihr am Kinn entlang. Sie setzte die Flasche langsam ab und wisc h te den Tropfen mit einem vollkommen befriedigten L ä cheln weg.
»Okay. Vier tote Typen, aber ich fasse nicht einen mehr an.«
Sie befeuchtete ihre Fingerspitze mit den Tröpfchen am Rand der Flasche und lutschte sie ab. »Fünf.«
»Okay, aber nur fünf.«
Tammy lächelte. Jungs waren so leicht zu kriegen.
Sie hatte McAllister Fields aus einem ganz einfachen Grund ausgesucht. Es war der nächstgelegene Friedhof, der oberird i sche Grabkammern hatte. Es war so viel einfacher, Leichname zu sammeln, wenn man sie nicht erst ausgraben musste. Sie hatte sogar noch mehr Glück, denn die erste Grabkammer war nicht einmal verschlossen. Chad benutzte seine Brechstange, um den Sarg darin aufzubrechen. Er prallte von dem Gestank nach verwesendem Fleisch zurück und verzog sich in eine Ecke, um sich zu übergeben.
Tammy warf einen Blick auf die Leiche. »Die ist gut.«
Chad wischte sich die Lippen ab und beugte sich über den offenen Sarg. »Wofür brauchen wir die denn übe r haupt?«
»Hör auf, dumme Fragen zu stellen und bring sie zum Auto.«
Zimperliches Taktgefühl kämpfte gegen die rasenden Fäuste wogender Hormone. Er lud sich den Leichnam auf die Schulter und würgte, als er eine dichte Staubwolke einatmete, die nach muffiger Baumwolle roch und ihn an seine Großmutter erinne r te. Der kleine Finger der Leiche brach mit einem trockenen Knacken ab.
»Sei vorsichtig, du Idiot!«, fuhr ihn Tammy an.
Alles lief reibungslos. Chads Abscheu verblasste zu bl o ßem Unbehagen, bis sie den fünften Leichnam in den Kofferraum des Grem l in geladen hatten. Es war knapp. Ärgerlich und fluchend zwängte er die Ladung hinein und schlug die Hec k klappe zu, wobei er versehentlich ein heraushängendes Bein genau unter dem Knie abhackte.
»Scheiße!«
»Jetzt komm schon«, fauchte Tammy vom Beifahrersitz aus. Über den Rückspiegel warf sie ihm einen wütenden Blick zu.
Er bückte sich, so dass sie ihn nicht mehr sehen konnte, und betrachtete das halbe Bein im Dreck.
»Probleme?«
»Nein. Nein, alles cool.«
Er schleuderte das Bein in die Dunkelheit der Nacht. Wenn sie ihn danach fragte, würde er einfach sagen, es hätte schon gefehlt. Das war eine armselige Lüge und zum Scheitern veru r teilt. Aber seine Lust flüsterte ihm die bange Hoffnung ein, dass sie ihm glauben könnte. Er würde heute zwar nicht zum Schuss kommen, aber eine halbe Stunde Fummeln war immer noch eine ermutigende Möglichkeit.
Das Knirschen von Reifen auf der staubigen Straße kü n digte die Ankunft eines braunen Polizeiautos an. Chad erstarrte im Lichtkegel seiner Scheinwerfer. Sheriff Kopp stieg aus. Mit einer Taschenlampe leuchtete er in Chads ratlose Augen.
»Chad Roberts, bist du das?«
Chad nickte steif. Das wars. Sie waren aufgeflogen . Er hatte immer gewusst, dass das irgendwann passieren wü r de. Man konnte nicht lange auf Friedhöfen herumrennen und die Mächte der Finsternis beschwören, ohne Aufmer k samkeit zu erregen, selbst in einem Ort wie Rockwood nicht. Der Kult war vorbei. Sein Vater würde ihm den Arsch versohlen. Seine Mutter würde auf ihre übliche still tadelnde Art die Stirn runzeln. Er würde wahrscheinlich von der Schule fliegen und sogar wegen En t weihung der Toten ins Gefängnis gehen. Chad war nicht sicher, ob das ein Verbrechen war, aber es kam ihm so vor,
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