Diner des Grauens
etwas anhaben konnte. Das war ihm anfangs vorteilhaft erschienen, aber wie die mei s ten Geschenke des ewigen Lebens hatte auch dieses einen hohen Preis.
Er konnte sich nicht mehr betrinken. Er trank weiterhin, aber es war nur eine bleibende Angewohnheit aus den Tagen, in denen er noch am Leben gewesen war. So sehr er seinen Ku m mer in einer Nacht voll alkoholgetränkter Ausschweifungen auch ertränken wollte, es war einfach nicht möglich. Diese einfachen Freuden waren den Untoten traurigerweise versagt. Das bedeutete jedoch nicht, dass er es nicht ab und zu versuc h te. Immer noch hatte er die Hoffnung, dass es irgendwo da draußen eine Biersorte gab, mit der es klappen könnte. Seine heilige Suche danach war bisher nicht von Erfolg gekrönt gewesen, aber er weigerte sich aufzugeben. Selbst wenn es tausend Jahre dauern sollte, er würde sie finden.
Zuvor aber brauchte er heute Abend dringend einen starken, schwarzen Kaffee. Das Verlangen war rein ps y chologischer Natur. Trotzdem war sein Durst nach einer Tasse heißem Ka f fee kein Stück weniger unbezwingbar als seine vampirische Gier nach Blut. Sogar noch stärker.
Was es nur umso verunsichernder machte, als er sich in die Küche schleppte und sie vollkommen durchwühlt vorfand. Dosen und Schachteln standen in ordentlichen Ansammlungen überall auf der Theke, Töpfe und Pfannen waren auf dem Boden verstreut. Irgendwo inmitten des Durcheinanders befa n den sich die diversen Zutaten einer Tasse Kaffee. Seine Laune verschlechterte sich, je länger es dauerte, sie alle zu finden.
Er schlurfte aus der Küche. Loretta saß unter Zeitungen ve r graben an einem Tisch.
»'n Abend, Earl.«
Der Vampir grunzte etwas und ging zur Kaffeemasch i ne. Er ließ sie ihre heilige Tätigkeit beginnen und schielte dann, solange es dauerte, auf ihre blinkenden Lichter. Als sie schlie ß lich genug für eine kleine Tasse ausgespuckt hatte, goss er den Kaffee hastig in einen schmutzigen Becher, den er irgendwo auf dem Weg von seinem Koffer zur Kaffeemaschine gefunden hatte. Er stürzte das kochend heiße Elixier hinunter. Es ve r brannte seine Zunge und Kehle bis tief in den Magen. Verbre n nungen dritten Grades heilten in Sekunden. Und selbst wenn nicht, diesen Schmerz war es wert.
»Loretta«, sagte er mit verschmorter Zunge. »Wo ist Duke?«
»Elmyra Werner hat Probleme mit ihren Hühnern. Sie hat Duke gefragt, ob er sie sich mal anschauen kann.«
Earl goss sich noch eine Tasse ein. »Welche Art Pro b leme?«
»Sie sind nicht tot oder so was. Sagte, sie hätte das überprüft, nachdem sie von der Sache mit Walts Kühen gehört hatte.«
Der Vampir schlenderte hinüber zu ihrem Tisch und setzte sich. Er hob eine vergilbte Zeitung auf. »Wofür ist das hier alles?«
»Nachforschungen. Über das Diner.«
»Irgendwas Interessantes?«
»Schwer zu sagen.«
Der Placeboeffekt des Koffeins hatte noch nicht voll eing e setzt, Earl nahm sich aber trotzdem mit mildem Interesse eine Zeitung. Er las sie genau durch. Das dauerte nicht lange. Sie bestand nur aus vier Seiten und das meiste davon waren Leitartikel, Wetterberichte und ein Silbenrä t sel. Danach schnappte sich Earl eine weitere Zeitung. Wieder nichts. Erst beim Durc h blättern der dritten Zeitung fand er Lorettas Problem.
Rockwood hatte eine bunte und reiche Geschichte, was übe r natürliche Vorkommnisse betraf. Jede Ausgabe des Rockwood Examiner enthielt etwas in dieser Richtung. Alles von Strömen von Blut und verstümmelten Kühen bis hin zu eher unkonve n tionelle n Ph änomenen – wie an dem Tag, an dem alle Katzen in der Stadt ihre Schwänze verl o ren hatten. Oder die Nacht, die drei Wochen dauerte. Leichname verschwanden mit schöner Regelmäßigkeit aus ihren Gräbern. Mysteriöse Todesfälle gehörten zur guten Ordnung. Un d nach der Anzahl der Berichte zu urteilen, musste es in jedem dritten Haus spuken. Der Mond tat ebenfalls alle paar Monate etwas Merkw ürdiges: entweder er war außerhalb seiner Phase voll oder er veränderte seine Farbe, und einmal war er für eine ganze Woc he vollko m men ve r schwunden. Uneingeschr änkt von den Gesetzen der Normalität griff das Übernatürliche in Rockwood County um sich. Das machte es schwierig, ein bestimmtes Muster festzustellen.
Earl las eine redaktionelle Debatte über die Bürgerrechte der ruhelosen Toten – und ob ihnen die Köpfe wegzupusten eine Verletzung ebendieser theoretischen Rechte darstellte. Jede Seite brachte interessante Argumente vor. Die Me
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