Diner des Grauens
Wenn sie ihn gebeten hätte, zu bleiben und den Sonnenaufgang anzuschauen, hätte er bereitwillig zuge s timmt.
»Na gut.«
Sie warf ihre Arme um ihn. Earl entzog sich ihr unwil l kürlich. Die Gewichtsverlagerung entwurzelte den Gra b stein und sie fielen zu Boden. Er landete auf dem Rücken, während Cathy halb auf ihm lag. Das Gewicht von Gei s tern war praktisch nichtig, doch sie lastete auf ihm wie ein Zweitonnenpanze r schrank. Er fühlte sich etwas atemlos, was nicht unbedingt Sinn ergab, wenn man bedachte, dass Untote nicht atmen mussten. Sie lachten. Sie fing an und er stimmte ein. Er legte eine Hand auf ihre Schulter, um ihr beim Aufstehen zu helfen, zog sie stattdessen aber enger zu sich heran.
Dann küssten sie sich. Ein warmer, langer Kuss, der ewig dauerte und doch nicht lange genug. Er hatte nie zuvor einen Geist geküsst. Es war nicht viel anders, als eine lebende Person zu küssen, bis auf einen leichten Geschmack, der auf seinen Lippen zurückblieb. Ein G e schmack nach Rosen und Morge n tau und, seltsamerweise, nach Dr. Pepper Cola.
Sie lächelte. »Wow.«
Über sein schiefes, dämliches Grinsen war er sich vol l kommen im Klaren. Es war ihm egal.
»Das war … schön«, sagte Cathy.
»Ja.« Sein Grinsen wurde dämlicher und noch schiefer. Sein Mund fiel fast aus seinem Gesicht. »Schön.«
Napoleon bellte.
Dann war das unmissverständliche, nasse Knacken einer sich öffnenden Bierdose zu hören. Earl schaute über Cathys Schu l ter. Duke stand nur ein paar Schritte entfernt.
»Earl«, grüßte der Werwolf. »Willst du mich deiner Freundin vorstellen?«
»Mist«, knurrte der Vampir.
Cathy sprang auf die Füße. Sie strahlte enthusiastisch und streckte eine Hand aus. Als Geist lernte sie so selten neue Leute kennen.
»Hallo! Ich bin Cathy!«
Er ging nicht auf ihre ausgestreckte Hand ein.
»Er kann dich nicht berühren.« Earl setzte sich auf. »Er ist ein Werwolf. Kein Vampir.«
»Ein Wolfsmensch! Ehrlich?«
»Werwolf«, korrigierte Duke. »Ein Wolfsmensch ist ein Idiot mit einem Gesichtshaarproblem, der in Transsylv a nien heru m rennt und Zigeuner überfällt.«
»Oh. Entschuldigung.« Sie fuhr sich, verlegen grinsend, mit den Fingern durchs Haar.
»Schon okay.«
Duke knackte eine Dose Old Milwaukee aus dem Si x pack unter seinem Arm und warf sie durch Cathys körpe r lose G e stalt. Earls ungeschickter Griff verfehlte sie. Sie traf sein Knie und rollte in den Dreck.
»Ich dachte, du hättest mit dem Trinken aufgehört.«
Duke schüttete das Bier hinunter und zerquetschte die Dose. »Sind nur ein, zwei Bier.« Er warf die Büchse weg und öffnete eine weitere.
Earl wischte den Schmutz von seinem eigenen Bier ab. »C a thy, das ist Duke. Er ist ein Freund von mir.«
»Dann sind Sie wirklich ein Werwolf?«
»Jep.«
»Und ihr Jungs seid wirklich Freunde?«
»So ungefähr«, antwortete Earl zögernd.
»Das ist cool. Ich habe immer gedacht, Werwölfe und Va m pire würden sich nicht verstehen.« Sie kicherte. »Naja, eigen t lich habe ich bisher nicht einmal geglaubt, dass Vampire und Werwölfe wirklich existieren. Selbst nac h dem ich tot war, habe ich nicht groß darüber nachgedacht. Aber ich glaubte, nur weil Geister existieren, muss das nicht unbedingt beweisen, dass andere … äh … Dinge auch existieren.«
Sie grinste.
»Tut mir Leid. Ich rede dummes Zeug, oder? Ich bin nur nicht daran gewöhnt, so viel Gesellschaft zu haben. Was ich sagen wollte, war, dass ich einfach immer angenommen hatte, Vampire und Werwölfe kämen nicht miteinander aus. Ich weiß auch nicht, warum, aber ich hatte immer diesen Eindruck.«
»Ein weit verbreitetes Missverständnis«, sagte Earl.
Dukes Wesensverwandtschaft mit Tieren dehnte sich sogar auf verstorbene, unkörperliche Hunde aus. Napoleon eroberte den Platz an der Seite des Werwolfs. Der Terrier starrte eifrig zu ihm hinauf. Da Streicheln nicht möglich war, war er einfach nur glücklich darüber, Duke nahe zu sein.
Der Werwolf beugte ein Knie und schlenkerte seine Finger über Napoleon. Der Terrier schnappte spielerisch danach.
Cathy glitt hinüber und hakte sich bei Earl unter. Zum ersten Mal fühlte er sich bei ihr unwohl. Eigentlich war ihm in ihrer Gegenwart immer eigentümlich zumute, aber nun erstmals auf negative Weise. Es war nicht ihre Schuld. Es lag an Duke.
Der Werwolf sah ihn einfach weiter mit diesem nervt ö tenden Ich-weiß-mehr-als-du-Blick an, den Earl so gut kannte. Duke redete nicht viel, aber Earl wusste,
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