Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin
nicht in die Familie Boshaft gehört.
Um spät, aber doch klar Stellung zu beziehen: Lügen, die über Not- und Höflichkeitslügen hinausgehen, sind fast ausnahmslos schlecht für alle Beteiligten und führen zu mehr Problemen, nicht zu weniger. Zwar gibt es um die Lüge herum eine watteweiche Grauzone aus leichtem Flunkern («Bin schon losgegangen») und geschicktem Verschweigen, gegen die sich schon deshalb wenig sagen lässt, weil es kaum Menschen gibt, die diese Form der Konversationsdiplomatie nicht benutzen. Von der echten, harten Lüge aber muss abgeraten werden: Zumal in Verbindung mit Prokrastinationentsteht leicht eine explosive Mischung. Die Lüge sollte also nur die letzte Zuflucht sein. Man kann nicht sein Leben lang durch Ausreden wieder geradezubiegen versuchen, dass man sich immer wieder auf unmögliche Projekte einlässt, zu kurze Deadlines vorschlägt oder akzeptiert und sich generell ständig grotesk verschätzt.
Die Geschichte des Franzosen Jean-Claude Romand illustriert, wie aus einer gelogenen Ausrede eine Katastrophe werden kann. Er versäumte eine Prüfung in seinem Medizinstudium, erzählte seiner Frau und seinen Freunden aber, er habe sie bestanden. Aus Scham, die erste Lüge gestehen zu müssen, türmte er Unwahrheit auf Unwahrheit, bis er in seinem Ort als angesehener Arzt galt, der für die Weltgesundheitsorganisation in Genf arbeitet. Achtzehn Jahre lang hielt er diese Illusion aufrecht und ging tagsüber spazieren. Er finanzierte sich ebenfalls mit einer Lüge, indem er Familie und Freunden anbot, ihre Ersparnisse zu sehr guten Zinsen an seinem Arbeitsort in der Schweiz anzulegen. Als einer der Bekannten eine größere Geldsumme benötigte und sein Konto auflösen wollte, drohte das Phantasiegebäude in sich zusammenzufallen. Aus Angst, seine Familie könne die Wahrheit erfahren, erschoss er 1993 seine Frau, seine beiden fünf und sieben Jahre alten Kinder, seine Eltern und den Familienhund.
Lügen haben eine Eigendynamik, die dazu führen kann, dass man beginnt, selbst an sie zu glauben. So verhindert eine größer werdende Lüge, dass man sich der dahinterstehenden Problematik bewusst wird. Das verschlechtert die Chancen, umzudenken und pragmatische Lösungen für große Lebensprobleme zu finden, etwa einen Berufswechsel oder die Scheidung. Oder kürzer: Lügner leiden.
Im Gegensatz zu Ausreden und Lügen kann die Entschuldigung, obwohl mit ihnen verwandt, geradezu wie Seelenbalsamwirken, wenn sie richtig angewendet wird. Dabei müssen wir jedoch die ärgerliche Doppeldeutigkeit des deutschen Begriffs «Entschuldigung» berücksichtigen. In der Entschuldigungswissenschaft unterscheidet man englisch «Excuse» von «Apology». Excuse nennt sich die mit der Ausrede verwobene Form der Entschuldigung, der Versuch also, sich von Schuld freizusprechen. Für diese Art der Selbstrechtfertigung gilt, was auch für Ausreden gilt – sparsame, gezielte Verwendung, möglichst stromlinienförmig in die Kommunikation eingepasst. Die für uns interessantere Spielart der Entschuldigung ist die Apology: einen Fehler zuzugeben und sich dafür zu entschuldigen im Sinn, den Fehler zu bedauern. Leider scheint sie inzwischen durch die anderen, beschriebenen Spielarten vergiftet zu sein, weil für viele Menschen die Wahrung des eigenen Gesichts mehr wert ist als ein gesenktes Haupt und allgemeine Zerknirschung, um andere von der Einsicht in eigene Fehler zu überzeugen und zu besänftigen. LOBOs sollten die Apology aber ernsthaft erlernen.
Eine ehrliche Entschuldigung verbessert nicht nur das Verhältnis zwischen den Beteiligten, oft verschafft sie einem auch selbst erhebliche psychische Entlastung. Wie bei der Beichte im Katholizismus ist aber die Entschuldigung nur ein Teil dieses Mechanismus – der andere Teil ist Reue. Im nichtkatholischen Alltag bietet es sich an, statt des pathoslastigen Worts «Reue» lieber «Lernfähigkeit» einzusetzen, also Einsicht in den oder die Fehler, die überhaupt erst zur Notwendigkeit der Entschuldigung geführt haben (siehe auch Kapitel «Triumph des Unwillens»). Das gute Problembewältigungsinstrument Entschuldigung nutzt sich ab wie eine verklemmte Handbremse, wenn man es überstrapaziert.
Zu jeder guten Entschuldigung gehört deshalb auch die nachbereitende Kommunikation, die wenigstens guten Willen bei der zukünftigen Vermeidung ähnlicher Fehler beweisensollte. Bei kleineren Verstößen hingegen kann man sich und anderen mit einer
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