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Dinner for One auf der Titanic

Dinner for One auf der Titanic

Titel: Dinner for One auf der Titanic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koglin
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einen erwachsenen... also einen Kartoffelsack auf einmal hineinwerfen ...«
    »Das will ich meinen«, sagte Kapitän Smith und biss herzhaft in ein saftiges Medaillon. Auch Jessup Finch-Meyers aß mit gutem Appetit.
    Miss Sophie stierte entgeistert auf den Teller vor Smith und dann auf ihren eigenen. Auch James mühte sich mit krampfhaft verschlossenem Mund, ein Würgen zu unterdrücken.
    Jessup Finch-Meyers schnalzte mit der Zunge.
    »Das läuft alles ganz automatisch«, sagte Kapitän Smith.
    »Sie werfen die Kartoffeln rein, sie werden geschält, die Kartoffelaugen ausgestochen, geschnitten in einen Topf abgefüllt und anschließend gebraten, gekocht, was immer sie wollen.«
    »Das hier ist ein Maschinenessen?«, fragte Oscar Smooth Gentle und schob den Teller von sich. Miss Sophie starrte immer noch auf die Medaillons.
    »Ich fürchte, ich ringe mit einem Anflug von Seekrankheit. Ich werde mich in meine Kabine zurückziehen.«
    »Sie wollen dieses wunderbare Essen nicht anrühren?«, fragte Finch-Meyers. »Wir könnten Ihnen etwas aufheben ...«
    »O ja, das schmeckt sicher auch aufgewärmt noch ganz vorzüglich«, sagte Dr. Philatus Breastsucker. »Aufgeschnitten und auf Toast.«
    »Nein, danke«, sagte Miss Sophie. James spürte ein trockenes Kratzen im Hals. Miss Sophie ließ mit einer flinken Bewegung das kleine Kabel verschwinden, das aus ihrem Medaillon lugte.
    »Dieser Fürst Balgakov weiß gar nicht, was er da verpasst«, sagte Kapitän Smith und füllte sich neben dem Gemüse zwei weitere Medaillons auf den Teller.
    »Wahr gesprochen«, sagte Jessup Finch-Meyers. »Welches Hobby ist es schon wert, dafür dieses Essen herzugeben.«
     

Oscar Smooth Gentle
    Dieser verschwundene Balgakov lag Jessup Finch-Meyers schwer im Magen. Er fuhr sich über den Bauch und seufzte. Damit kurierte man kranke Kätzchen. Warum sollte das nicht auch einem hinausgeworfenen Pater helfen, sein Magendrücken loszuwerden?
    Er hätte lieber auf das letzte Medaillon verzichten sollen. Zumal ein Knopf darin verborgen war. Ohne großes Aufhebens hatte er ihn in seiner Serviette verschwinden lassen. Ein solcher Fund war ein Skandal. Schließlich speisten sie hier nicht in einer Suppenküche in den unteren Decks, sondern im Speisesaal der ersten Klasse. Und ausgerechnet er, der die Interessen der White Star Line und den Ruf der Titanic verteidigen sollte, wäre der Auslöser eines kulinarischen Eklats ohnegleichen gewesen. Ganz unglaublich.
    Finch-Meyers erhob sich von seiner Koje und machte sich auf den Weg in den Frachtraum. Im Rauchsalon der ersten Klasse unterhielten sich ein paar wohlbeleibte männliche Passagiere über Aktienkurse. Von der goldenen Zeit »ohne Baisse« war die Rede, von den Errungenschaften modernster Technologie, die die Menschheit in ein goldenes Zeitalter führte. Vom unüberschaubaren Risiko der Investitionen in die gerade entstehenden Automobilfirmen.
    Blaue Rauchwolken aus den Havannas schwebten über ihren Köpfen. Finch-Meyers würde nie verstehen, wie man seinen Lungen Derartiges freiwillig antun konnte. Wenn seine Nase ihn nicht trog, befand sich da unten, ein paar Meter unter der Wasserlinie, das ideale Versteck für diesen anarchistischen Fürsten. Ein Bomben werfender Adliger! Was für paradoxe Zeiterscheinungen.
    War diesem Jahrhundert Sitte und Anstand vollkommen abhandengekommen? Da lobte er sich doch seine indische Mission. Solche Entgleisungen der Zivilisation hatten Indien noch nicht heimgesucht. Ein armes Land zwar, aber ein Land, in dem die Menschen derartige Verdrehtheiten nicht kannten. Gott sei Dank.
    Nein, nie hätte er gedacht, dass sein Leben einmal diese Wendung nehmen würde. Er, der die Gottesdienste in der kleinen Missionskirche so geliebt hatte. Und dann der Unterricht für die Kinder, die Pflege der Kranken. Sein Leben hatte einen Sinn, war gottgefällig gewesen. Und jetzt? All das wegen einer Frau. Er, ein Diener Gottes und nun in Lohn und Brot als Borddetektiv. Nicht zu fassen.
    Patsymoon Sterlingtree erwartete ihn am Eingang zum Frachtraum. Sie schwenkte eine Petroleumlampe. Im flackernden Licht bemerkte Finch-Meyers ihre hektischen Gesichtsflecken. Ihre Hände zitterten.
    »Anarchisten sind meines Wissens keine Menschenfresser«, sagte er und nahm ihr die Lampe ab. Der Lademeister hatte die Kasten, Kartons und Bündel hier unten sorgfältig gestapelt. Auf jedem der Frachtstücke klebte ein Schild mit einer großen schwarzen Zahl und einem Namen. Diebe fürchtete hier, hinter

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