Dinner for One auf der Titanic
Blick zu. Zweifellos hatte sie die Bombe unter sein Bett geschafft. Hatte sie ihn nun anschwärzen oder entlasten wollen? Wenn er das nur wüsste.
»Nun, James, zurück ins Glied«, sagte sie und wandte sich an Finch-Meyers und den Kapitän.
»Meine Herren, vielleicht sollten wir dieses Spektakel mit einem Glas Sherry abrunden. Schließlich wissen wir ja nun, wer in diesem trivialen Roman die Guten und wer die Bösen sind, nicht wahr?«
»Ein Sherry wäre wohl angemessen«, willigte Kapitän Smith ein.
»Oh, dass ich es nicht vergesse. Ich plane eine kleine Geburtstagsparty in der Nacht auf den Fünfzehnten. Es wäre überaus reizend, wenn mir die Herren die Freude machen würden, meinem zunehmend verwaisenden Tisch etwas männlichen Glanz zu verleihen. Ich hoffe, es wird für alle Beteiligten eine denkwürdige Nacht.«
»Hört, hört. Auf eine denkwürdige Nacht«, wiederholte der Kapitän und hob sein Glas.Er zwinkerte Miss Sophie zu. James hatte es genau gesehen.
Dr. Philatus Breastsucker
»James, ich werde nicht umhin können, die Pfauenfeder auf die Liste der von Ihnen zu verantwortenden Verluste zu setzen.«
»Sehr wohl, Miss Sophie.«
Sollte sie auf ihre verdammte Liste setzen, was immer sie wollte. Es schien so, als versuche sie, ihm mit ihrem malvenfarbigen Notizbuch Angst einzujagen.
Ihre im Hafenbecken verloren gegangenen Korsetts, die Bluse mit dem kleinen Riss, das kleine Missgeschick, das ihm mit dem Bügeleisen unterlaufen war, die Port- und Whiskyflaschen, ja selbst einen zerbrochenen Stift hatte sie säuberlich mit einem Betrag in diesem Notizbuch festgehalten.
Die Summe verschlang bereits vier Monatsgehälter. Auch wenn ihm das Geld gleichgültig war, in anderer Hinsicht war er enttäuscht. Menschlich. Schließlich zeigte sie ihm durchaus auch ihre »andere« Seite. Dann lag Vertrautes, Warmes in ihrem Blick. In diesen Momenten spürte er in der Tiefe seines Herzens, dass sie nicht mehr den Butler in ihm sah, sondern den Mann. Und jetzt? Jetzt stand ihr malvenfarbenes Notizbuch zwischen ihnen.
James räumte die Suppenteller ab. Einen Vorteil hatten die klaffenden Lücken in der Tischgesellschaft zweifelsohne. Die Arbeit wurde übersichtlicher.
»Ist das nicht alles ungeheuer merkwürdig, mein bester Dr.Breastsucker?«, bemerkte Miss Sophie.
»Ja, mich würde es jetzt auch nicht mehr wundern, wenn ein indisches Panzernashorn durch das Café Parisien tanzte.«
Miss Sophie stieß einen spitzen Schrei aus. Was für ein affektiertes Getue um einen derart müden Witz.
»Und Sie glauben tatsächlich, dass Neurosen Klassen übergreifend auftreten?«, fragte sie Dr. Breastsucker.
»Unbedingt.«
»Das hätte ich den schlichteren Gemütern gar nicht zugetraut.«
Sie sah ihm direkt in die Augen. Wieder dieses hochmütige Lächeln.
James widmete sich der Portionierung der Zanderfilets. Miss Sophie sog genüsslich den Duft der Walnusssoße ein.
»Danke, James, das sieht ja ganz wunderbar aus. Und, Dr.Breastsucker, nehmen wir unseren armen Mr. Oscar Smooth Gentle, kann man seine sexuellen Neigungen, nun, ich meine ...«
»Oh, Miss Sophie. Das Wort Neurose ist eine Art Sammelbegriff. Dennoch, die sexuellen Neigungen von Mr. Smooth Gentle haben wohl ihre Ursache in seiner starken Mutterbeziehung.«
James ließ einen Löffel zu Boden fallen. Da war es wieder. Nur weil einer seine Mutter lieb hatte, wurde er nicht gleich zum homosexuellen Dichter! Nein, das ging zu weit. Er blieb lieber bei seinen manischen Begierden. Da wusste man wenigstens, woran man war.
»Oder nehmen wir das Phantom dieses Schiffes.«
»Ein Phantom? Befinden wir uns in der Geisterstunde, Dr.Breastsucker? Fällt das in Ihr Fach?«
»Keineswegs, Miss Sophie. Unser Schattenwesen ist ein Mensch aus Fleisch und Blut.«
»Fürst Andrej Balgakov?«
»Der Mann muss unter einer schwierigen, ja, frostigen Kindheit gelitten haben. Und in all dieser Kälte hat er sich eingerichtet.«
»Und das macht aus einem Mann, der begüterten Verhältnissen entstammt, einen hoffnungslos idealistischen Anarchisten?«
»Eine kalte, sadistische Persönlichkeit, doch begegnet er einer Frau, die ihn an seine Mutter erinnert ...«
»Meinen Sie mich? Es dürften wohl ein paar Jahre zwischen der Biografie seiner Mutter und meiner ...«
»Das ist ganz unabhängig vom Alter. Es zählt das Bild, das er im Kopf gebildet hat. Man nennt es Übertragung.«
Dr. Philatus Breastsucker faltete die Hände.
»Und dann greift er zur Bombe?«, wollte Miss
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