Dinner fuer drei Roman
Tabletten mit dem restlichen Schluck kalten Kaffees aus seinem Styroporbecher hinunter.
Nachdem sein Wagen im Mai die Leitplanke durchbrochen hatte, hatte er einen Monat im Krankenhaus und zwei weitere Monate in physiotherapeutischer Behandlung zugebracht. Im September hatten die Dreharbeiten zu einem neuen Film begonnen. Wegen seiner Verletzung hatte die Produktionsgesellschaft eine Verschiebung des Drehbeginns erwogen, doch er hatte so gute Fortschritte gemacht, dass schließlich beschlossen worden war, pünktlich mit der Arbeit anzufangen und ihn in einer Reihe von Szenen, die er für gewöhnlich selbst gemacht hätte, durch ein Double zu ersetzen.
Zehn Tage zuvor hatten sie den Film fertig gestellt. Im Anschluss daran hätte er zu Verhandlungen über ein neues Theaterstück nach New York fliegen sollen, doch im letzten Augenblick hatte er entschieden, stattdessen lieber mit dem Wagen zu fahren. Er hatte gehofft, das Alleinsein würde ihm helfen, endlich wieder zu sich zu finden. Bereits nach wenigen Tagen war es wichtiger gewesen, allein zu sein, als sein Ziel zu erreichen, sodass er Manhattan nicht näher als bis zum Jersey Turnpike gekommen war.
Er hatte seinen Jaguar gegen einen unauffälligen GMC-Kombi eingetauscht und fuhr inzwischen über Nebenstraßen immer weiter Richtung Süden. Anfangs hatte er erwogen, seinen Vater und seine Stiefmutter in Hilton Head zu besuchen,
wo sie seit ein paar Jahren ihren Ruhestand genossen, ehe ihm bewusst geworden war, dass sie die Letzten waren, die er sehen wollte, auch wenn sie ihn seit Jahren - nämlich seit er berühmt war - immer wieder zu sich einluden.
Bis zu Beginn der Dreharbeiten zu seinem nächsten Film blieben ihm noch mehr als sechs Wochen, deshalb setzte er seine ziellose Fahrt einfach fort, um die Zeit bis dahin totzuschlagen.
Als er den Wagen wieder Richtung Straße lenkte, bemerkte er im Rückspiegel die Kassiererin, die ihm durch das Fenster nachsah. Sie hatte ihn eindeutig nicht erkannt, ebenso wenig wie sonst irgendjemand, seit er L.A. verlassen hatte. Wahrscheinlich hätten sogar seine Freude genau hinsehen müssen. Hinter dem falschen Akzent, mit dem er auch in seinem letzten Film gesprochen hatte, und den längeren Haaren hatte er seine Identität über mehr als dreitausend Meilen erfolgreich verborgen. Und noch wichtiger als die Anonymität war die Tatsache, dass er selbst durch die Verkleidung, wenn auch nur vorübergehend, seinem wahren Ich entkam.
Er bog auf die nasse Straße ab und suchte automatisch in der Jackentasche nach seinen Zigaretten, als ihm plötzlich bewusst wurde, dass er nicht mehr rauchte. Im Krankenhaus hatte man es ihm verboten, und als er endlich entlassen worden war, hatte er sich das Rauchen inzwischen abgewöhnt. Er hatte sich sämtliche sinnlichen Freuden des Lebens abgewöhnt. Essen, Alkohol und Sex stellten keinerlei Reize mehr für ihn dar. Er konnte sich noch nicht einmal daran erinnern, weshalb ihm diese Dinge einmal so wichtig erschienen waren. Seit dem Verlust seiner Kinder hatte er das Gefühl, nicht länger Teil der Welt der Lebenden zu sein.
In den sieben Monaten, seit Lilly ihm die Mädchen weggenommen hatte, hatte er sich mehr mit dem Thema des sexuellen Missbrauchs auseinander gesetzt als so mancher Rechtsanwalt. Er hatte in seinem Krankenhausbett gelegen und Berichte über Väter gelesen, die winzige Babys auf unaussprechliche
Weise malträtierten, Berichte über perverse, kranke Männer, die eine Tochter nach der anderen missbrauchten und damit das heiligste Band des Vertrauens durchtrennten, das zwischen zwei Menschen existierte.
Doch er war keines dieser Ungeheuer. Und ebenso wenig war er noch dieser naive Heißsporn, der einfach in Mike Longacres Büro gestürmt war und von ihm verlangt hatte, etwas gegen Lillys falsche Anschuldigungen zu unternehmen. Inzwischen war ihm hinlänglich bekannt, dass das Gesetz nicht bedingungslos für Gerechtigkeit stand.
Welches persönliche Opfer ihm diese Geste auch immer abverlangen würde, er könnte niemals zulassen, dass seine Töchter im Untergrund nicht nur ohne Vater, sondern auch noch ohne Mutter aufwachsen mussten. Er hielt sich von ihnen fern und verließ sich lediglich auf die internationale Flotte von Detektiven, die er engagiert hatte, um die beiden unter Beobachtung zu halten. Mit wachsender Resignation hatte er Lillys Reisen mit den Mädchen erst nach Paris und dann weiter nach Italien verfolgt. Den August hatten sie in Wien und den September in
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