Dinner mit Rose
Fächer ausgebreitet, und ihre Augen waren geschlossen. Das Gesicht wirkte im warmen Schein der potthässlichen Messinglampe hohlwangig und erschreckend alt. Mir war bisher gar nicht aufgefallen, wie sehr sie im letzten Monat an Gewicht verloren hatte.
»Sie schläft«, flüsterte ich.
»Nein, ich schlafe nicht.« Roses Stimme klang leise und ein wenig verschwommen. »Kommt herein. Wer seid ihr denn?«
»Ich bin’s«, erwiderte Matt, »und Jo.« Er trat in den Raum und setzte sich neben sie auf den Bettrand. »Wie geht es dir?«
»Gut«, murmelte Tante Rose, griff nach seiner Hand und hielt sie fest.
Ich lehnte den Kopf gegen den Türrahmen und beobachtete die beiden – zwei meiner liebsten Menschen. Was für ein Glück, dass Matt in meiner Kindheit und Jugend mein Spielkamerad gewesen war – er hatte mich davor bewahrt, zu einem verzogenen Einzelkind heranzuwachsen –, und noch glücklicher konnte ich mich schätzen, dass Tante Rose nur zwei Koppeln entfernt gewohnt und mich während meiner prägenden Jahre mit Liebe überschüttet und durch ihr exzentrisches Naturell positiv beeinflusst hatte.
»Pat«, sagte Tante Rose plötzlich und schlug die Augen auf.
»Nein«, widersprach Matt sanft. »Ich bin es, Matthew.«
»Pat, du solltest nicht hier sein.« Sie schloss die Augen wieder und bewegte den Kopf unruhig auf dem Kissen.
Matt sah mich entgeistert an.
»Dr. Milne sagte, sie könnte einen verwirrten Eindruck machen«, beruhigte ich ihn. »Das liegt an den Spritzen, die er ihr gegeben hat.«
»Wir haben doch darüber gesprochen«, fuhr Tante Rose fort. »Sie wird es herausfinden, und dann wird sie Matthew mit nach England nehmen, und du wirst ihn nie wiedersehen.« Sie verzog schmerzlich das Gesicht – das Zerrbild eines Lächelns. »Und sehen wir den Tatsachen doch einmal ins Auge. Dieses Kind braucht wenigstens einen vernünftigen Menschen um sich – und davon kann bei Hazel oder meinen Eltern beileibe keine Rede sein.«
Eine bedeutungsschwere, betretene Stille trat ein. Mit äußerster Behutsamkeit machte Matt sich los und stand auf. Ich trat zur Seite, um ihn vorbeizulassen, und er stolperte wie blind an mir vorbei aus dem Raum. Ich hob den Blick von Tante Roses reglosem Gesicht und sah ihm hinterher, dann folgte ich ihm aus dem Zimmer.
»Matthew, mein Lieber«, sagte Mum gerade, als ich die Küchentür erreichte, »ist alles in Ordnung?« Sie hatte sich von der Spüle abgewandt und musterte ihn besorgt. »Sie berappelt sich schon wieder. Deine Tante ist zäh wie Leder, das weißt du doch.«
»Ja«, murmelte er und öffnete die Hintertür. »Ich gehe jetzt besser …«
Mum, die offenbar davon ausging, dass Roses Zustand ihn völlig verstört hatte, griff nach einem Geschirrtuch, trocknete sich die Hände ab und eilte aus der Küche, um sich selbst ein Bild zu machen.
»Matt«, sagte ich hilflos. Er – und Rose – taten mir so leid, dass es mir fast die Kehle zuschnürte.
»Nacht, Jo. Wir sehen uns morgen.« Er bückte sich und zog seine Arbeitsstiefel an.
Da ich nicht wusste, was ich tun sollte, aber unbedingt etwas tun wollte , durchquerte ich den Raum und berührte ihn an der Schulter. »Ist schon okay.« Etwas Dümmeres fiel mir wohl nicht ein? Ich zog meine Hand wieder zurück.
»Wusstest du davon?«, fragte er.
Ich schüttelte den Kopf. »Von mir erfährt auch niemand was.«
»Ich weiß.« Er richtete sich auf. »Mach nicht so ein Gesicht, Jose, davon geht die Welt nicht unter.«
Ich schlang die Arme um ihn und drückte ihn fest an mich, und er erwiderte seufzend meine Umarmung. Er fühlte sich sehr warm an, und er roch gut – nach Seife, sauberem Leinen und nach irgendetwas schwach Würzigem. Erst nach einer Weile kam mir der Gedanke, dass es nicht die feine englische Art war, am Freund einer anderen zu schnuppern, und ich gab ihn frei.
»Machst du deine Schulterübungen?«, fragte ich.
»Hmm? Ja, doch. Manchmal.«
»Zwei Mal am Tag, wenn ich bitten darf, oder es wird dir in ein paar Tagen sehr leidtun, wenn du Kälber hochwuchten musst.«
»Ja, Jo«, versprach er gehorsam. Er lächelte und schnippte mit dem Finger leicht gegen meine Nase. »Und danke.« Damit verschwand er im Regen und in der Dunkelheit.
Als ich die Tür hinter ihm zumachte, fühlte ich mich plötzlich uralt. Ich ging in die Küche zurück und machte mich erneut über die Ofenroste her. Was für eine aufregende Art, den Abend zu verbringen!
»Jo?«, fragte Mum vorsichtig. Sie hatte wohl im Flur
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