Dinner mit Rose
unmittelbare Gefahr, dass ihr die Augen aus dem Kopf fielen. »Hallo, Andy.«
»Oh, hi, Amber«, erwiderte er, dann drehte er das Kinn ungefähr fünf Grad in meine Richtung. »Jo.«
»Hallo«, sagte ich.
»Zu Hause in der Gefriertruhe habe ich etwas Wildschweinfleisch für dich«, teilte er mir mit.
»Behalt es«, entgegnete ich. »Du bist derjenige, der die ganze Arbeit gemacht hat.«
»Ich dachte, ihr hättet vielleicht gern ein paar Koteletts und einige kleine Bratenstücke. Ich bringe sie nach der Arbeit vorbei, wenn ihr dann da seid.«
»Halb acht ist meistens eine gute Zeit«, schlug ich vor. »Matt und Kim kommen fast immer nach dem Dinner herüber.«
»Gut«, murmelte Andy unbehaglich. »Hör mal, Jo, könnte ich dich kurz unter vier Augen sprechen?«
»Sicher. Amber, es müsste doch Zeit für deine Mittagspause sein.«
Amber wirkte etwas geknickt, schob aber ihren Stuhl zurück und fischte ihre Handtasche unter dem Schreibtisch hervor. »Soll ich euch irgendwas mitbringen?«, fragte sie.
»Nein, danke«, sagte Andy und lächelte ihr kurz zu, woraufhin ihr das Blut in die Wangen stieg. Mir kam der Gedanke, dass wir vielleicht mit einem weiteren Fall von unerwiderter Liebe rechnen mussten und ich gut daran täte, einen Extravorrat an Schokoladenkeksen anzulegen. Aber keine der Marke Tim Tam, sondern welche, die leichter zu essen waren.
Amber zog einen pinkfarbenen Nylonmantel mit zottigem Kunstpelz an den Ärmeln an, griff nach ihrer Tasche und trat in den winterlichen Sonnenschein hinaus. Wir sahen zu, wie sie die Straße hoch in Richtung Bake House ging. Andy scharrte mit den Füßen und machte ein unglückliches Gesicht.
Ich wartete eine Weile, und als er keine Anstalten machte, mit der Sprache herauszurücken, bemerkte ich: »Der hintere Teil der King-Farm ist wirklich schön, findest du nicht?«
»Mhm.«
Nach einer weiteren Pause versuchte ich es erneut. »Wie ich hörte, hast du gestern Kims Mutter kennengelernt.«
»Mhm«, wiederholte Andy, dabei betrachtete er eingehend die Nägel seiner linken Hand. Sichtlich zufrieden schob er die Hand in seine Hosentasche und begann unmelodisch durch die Zähne zu pfeifen.
Ich lachte – ich konnte nicht anders –, und er zuckte zusammen wie ein erschrockenes Kaninchen. »Andy! Ich habe in zehn Minuten einen Patienten!«
»Sorry«, murmelte er. »Äh, Jo …«
Eine neuerliche, noch längere Pause trat ein. Ich setzte mich auf Ambers Stuhl, stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch und das Kinn auf die Hände. »Lass dir Zeit.«
»Ach, hör auf«, fauchte er. »Wenn ich das Mädchen einlade, mit mir auszugehen … wird man mich dann für einen alten Lustgreis halten und aus der Stadt jagen?«
»Mit ›man‹ meinst du Matt?«
»Mhm.«
»Da er Kim allein mit dir hat weggehen lassen, halte ich das für eher unwahrscheinlich. Und du hast einen guten Job und spielst in keiner obskuren Rockband, also schneidest du im Vergleich zu dem letzten Typen schon mal gut ab.«
»Ich bin fünf Jahre älter als sie«, seufzte Andy. » Sie wird mich vermutlich für einen alten Lustgreis halten.«
Niemand hätte weniger wie ein alter Lustgreis wirken können als Andy mit seinen rosigen Wangen und dem stacheligen Haar. Er sah aus wie ungefähr zwölf. »Deswegen wollte sie auch deine Telefonnummer und hat dir Müsliriegel gekauft und sich erboten, mit dir einen Hügel hochzuklettern«, erwiderte ich. »Und wenn du mich fragst, würde sie sich eher Zitronensaft in eine offene Wunde träufeln, als durch feuchtes Buschwerk zu stapfen.«
»Ich glaube nicht, dass ihre Mutter viel von mir gehalten hat«, sagte er düster.
»Nein«, stimmte ich zu. »Sie dachte, du stehst schon mit einem Fuß im Gefängnis. Tante Rose hat ihr erzählt, deiner Familie würde halb Hawkes Bay gehören, aber ich weiß nicht, ob sie das geglaubt hat.«
»Nur dreitausend Hektar«, berichtigte Andy.
»Das muss man nicht so genau nehmen.« Daneben, Tante Rose. »Lebt ihr in fünfter Generation dort?«
Er sah mich verwirrt an. »Wir sind von Feilding dorthin gezogen, als ich sechs war. Ist das wichtig?«
»Nein, ich habe Hazel nur weisgemacht, du wärst schon die fünfte Morrison-Generation. So etwas beeindruckt sie.«
»Kann ich mir vorstellen. Danke«, sagte er. »So, und jetzt sollte ich mich wieder an die Arbeit machen.«
»Andy?«, fragte ich.
»Mhm?«
»Geh behutsam mit Kim um. Sie macht im Moment eine ziemlich schwere Zeit durch.«
»Ich weiß«, erwiderte er.
Kapitel 27
D
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