Dinotod: Tannenbergs vierter Fall
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Bei ihrer spontanen Session klatschten die Brüder sich selbst den Takt. Wolfram Tannenberg intonierte mit seinen Lippen das bei diesem Mungo-Jerry-Kultsong obligate Harley-Motorengeräusch.
Lachend stießen die beiden Brüder ihre Champagner-Kelche aneinander, tranken in einem Zug die Gläser leer.
„Komm, lass gleich mal die Luft raus“, forderte Tannenberg.
Heiner füllte die beiden Gläser und sagte dabei mit versonnenem Gesichtsausdruck: „Wolf, weißt du, was ich gerade träume?“
„Na ja, wahrscheinlich dasselbe wie immer: von einer anderen Frau“, sprudelte es unkontrolliert aus dem Munde des Kriminalbeamten heraus, der doch tatsächlich die Anwesenheit seiner Schwägerin für einen Moment vergessen hatte, die wie eine Bioladen-Schaufensterpuppe regungslos in der Ecke neben der Stereoanlage stand.
Nun aber kam plötzlich Leben in die rothaarige, in ein wallendes Gewand gehüllte Mumie. Sie erhob sich, warf die kupferfarbene Lockenpracht in den Nacken und schritt herausfordernd auf die beiden Männer zu. Zu Tannenbergs großer Verwunderung reagierte sie jedoch nicht mit einem Zornesausbruch auf die Provokation ihres Schwagers, sondern umfasste von hinten zärtlich ihren Mann und fragte mit säuselnder Stimme: „Wovon träumt denn mein liebes Henrylein in seinen einsamen Stunden?“
Heiner war das unerwartete affektierte Gebaren seiner Gattin augenscheinlich ziemlich unangenehm, denn er drückte sie sogleich von sich weg und sagte an seinen Bruder gerichtet: „Mein großer Lebenstraum besteht darin, einen ganzen Krimi in Gedichtform zu schreiben. Stell dir mal vor: einen Krimi in ›Faust‹-Format.“
„Einen Krimi in ›Faust‹-Format“, äffte Betty ihren Ehemann nach. Sie stützte dabei ihre Hände auf die Hüftknochen. „Du solltest besser mal von deinem Lyrik-Olymp heruntersteigen und lieber der bitteren Realität ins Auge blicken. Und die besteht nun wohl darin, dass du für deinen albernen Pippi-Kram nur einen Druckkostenzuschuss-Verlag gefunden hast. Sag mal lieber deinem netten Brüderchen, was du für die 500 Büchlein bezahlt hast!“
„Wieso hast du dafür bezahlt?“, fragte Tannenberg verblüfft.
Heiner presste die Lippen zusammen, warf den Kopf stumm hin und her.
Unterdessen höhnte Betty weiter: „Weil er keinen richtigen Verlag gefunden hat, sondern nur einen, bei dem er den Druck seiner Bücher selbst bezahlen muss. 2200 Euro – einfach so aus dem Fenster hinausgeworfen.“
„Aber ich bekomme doch auch von den Verkaufserlösen ...“
Weiter kam Heiner nicht, denn Betty schrie mit zorngerötetem Gesicht: „Was bekommst du? Nichts bekommst du! Weil garantiert nicht einer deine stümperhafte Trivial-Lyrik kaufen wird. Kriminalpoesie – dass ich nicht lache! Welcher Buchhändler sollte denn so was Dilettantisches seinen Kunden empfehlen? Und dann auch noch so perverses Zeug: Eine alte Frau zerstückeln. Du solltest dich schämen!“
„Du kannst dich ja an eine Frauenbeauftragte wenden“, schleuderte Tannenberg seiner Schwägerin entgegen, ohne sich auch nur im Entferntesten über den pietätlosen Inhalt dieses Satzes Gedanken zu machen.
Gleich anschließend stapfte Betty wutentbrannt aus dem Wohnzimmer und polterte die Treppe hinauf in ihr Arbeitszimmer.
Tannenberg ging zu seinem Bruder, der wie angewurzelt neben der breiten Bücherwand stand, legte seinen rechten Arm um die Schulter seines einzigen Bruders und sagte: „Heiner, komm, mach dir doch nichts draus. Betty ist nur neidisch. Und ich bin stolz auf dich. Ausgesprochen stolz sogar!“
Heiner kniff die Lippen zusammen und nickte stumm vor sich hin.
Mit einem leisen Klirren stieß Tannenberg an den Champagnerkelch seines Bruders. „Prost! Auf dich und deinen Mut, etwas Neues zu wagen.“
„Danke, Wolf! ... Es ist ja auch nur ein Anfang.“
Tannenberg verspürte plötzlich im doppelten Wortsinne ein dringliches Bedürfnis. Also begab er sich zur Gästetoilette, die sich im gleichen Geschoss des Hauses gleich links neben der Eingangstür befand.
Schadenfroh grinsend hob er den Toilettendeckel mitsamt der Klobrille an, drückte die beiden Teile nach oben und lehnte sie an den Spülkasten. Während er den Reißverschluss seiner Jeans nach unten zog, suhlten sich seine Augen genüsslich in dem kurz oberhalb der hölzernen Klobrille angebrachten Aufkleber, der einen stehenden Mann bei der Verrichtung seiner Notdurft zeigte.
Allerdings war dieses aufrechte männliche Lebewesen brutal mit zwei
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