Dinotod: Tannenbergs vierter Fall
Tannenberg sich zu rechtfertigen.
„Diese Ausrede ist auch nicht viel besser! – Wo waren Sie denn eigentlich? Wollten Sie denn nicht höchstpersönlich zu diesem Kongress?“
„Mir ist was dazwischen gekommen. Woher wissen Sie das überhaupt?“
„Das spielt keine Rolle. Ist Ihnen eigentlich klar, dass diese arme Journalistin noch leben könnte, wenn Sie nicht so erbärmlich versagt hätten?“
Tannenberg schluckte. Kleinlaut antwortete er: „Aber das konnte ich doch nicht ahnen.“
„Das hätten Sie aber ahnen müssen , Herr Hauptkommissar! In Ihrer Haut möchte ich jetzt nicht stecken.“
Auch wenn er gewöhnlich nicht bereit war, Dr. Holler-bach auch nur den geringsten Triumpf zu gönnen, so musste er sich in diesem Falle jedoch wohl oder übel selbstkritisch eingestehen, dass dessen Kritik nicht völlig unberechtigt war. Zwar handelte es sich bei seiner kühnen Behauptung um eine reine Spekulation, allerdings um eine, die nicht so einfach von der Hand zu weisen war.
Tannenberg war sich selbst in ausreichendem Maße darüber im Klaren, dass sein unbeabsichtigtes Fernbleiben ein fahrlässiges Versäumnis darstellte, mit dessen Bewältigung er seit gestern Abend seine liebe Mühe hatte. Was ihn bei der ganzen leidigen Angelegenheit noch zusätzlich beschäftigte, war die Tatsache, dass er leichtfertig die einmalige Chance verspielt hatte, die Kongress-Teilnehmerinnen und das gesamte Umfeld akribisch zu beobachten.
Ein paar Stunden später stand der Leiter der Kaiserslauterer Mordkommission vor dem unscheinbaren Eingang des Verwaltungsgebäudes der Pfälzischen Allgemeinen Zeitung . Natürlich hatte Tannenberg in der Vergangenheit schon des Öfteren mit Journalisten der PALZ Kontakt gehabt, sei es bei Pressekonferenzen oder Lokalterminen, oder auch in Form aufdringlicher Anrufe im Kommissariat, denen er allerdings immer mit dem Verweis auf die Pressestelle des Polizeipräsidiums begegnet war.
Aber die Redaktionsräume der Lokalzeitung hatte er bislang noch nie betreten. Verwundert betrachtete er die beiden Überwachungskameras, die ihn von ihren Spähpositionen in den Mauerwinkeln herunter ins Visier genommen hatten. Sein ungläubiger Blick ruhte noch für eine Weile auf der Zifferntastatur der Schließanlage, die den Zugang zur PALZ -Redaktion wie einen Hochsicherheitstrakt vor ungebetenen Besuchern schützte. Dann endlich läutete er.
„Wer sind Sie? Was wünschen Sie?“, fragte plötzlich eine forsche Lautsprecherstimme.
Reflexartig zückte Tannenberg seinen Dienstausweis und hielt ihn nacheinander den beiden Kameras vor ihre gläsernen Augen. Allerdings nur so kurz, dass sich der von ihm beabsichtigte Effekt auch garantiert einstellte.
„Was ist das? Ich kann es nicht lesen!“
„Dann lese ich es Ihnen eben vor. Da steht: Mordkommission Kaiserslautern. Hauptkommissar Wolfram Tannenberg, Schuhgröße 43, KFZ-Kennzeichen des Privat-PKWs ...“
Seine unsichtbare Gesprächspartnerin schien nicht unbedingt an einer Fortsetzung dieser vermeintlich humoristischen Darbietung interessiert zu sein, denn plötzlich öffnete sich wie von Geisterhand die gläserne Abschlusstür.
Grinsend trippelte Tannenberg die Stufen hinauf in das erste Obergeschoss, folgte den Hinweisschildern mit der Aufschrift ›Chefredakteur‹ und betrat wenig später ein ebenso geräumiges wie menschenleeres Büro. Umgehend schickte er seine Augen auf Erkundungsreise. Sie erspähten exakt das Ambiente, das er sich in seiner Vorstellungswelt unter dem Begriff ›Zeitungsredaktion‹ zurechtgelegt hatte: Chaos, nichts als Chaos.
Obwohl er sich selbst ja nicht gerade als Ordnungsfetischisten bezeichnen konnte, war er von diesem heillosen Durcheinander mehr als überrascht. Vor allem wunderte er sich darüber, dass aus diesem ganzen Chaos ein – zumindest was die Quantität betraf – durchaus vorzeigbares Produkt, nämlich die Tageszeitung PALZ , entstehen konnte.
„Hallo, Herr Hauptkommissar“, hörte er plötzlich eine kräftige Stimme in seinem Rücken.
Tannenberg wandte sich um. Ein etwa 35-jähriger hagerer Mann kam regelrecht auf ihn zugeflogen. Er trug ein offenes, sandfarbenes Sakko. Eine rote Krawatte baumelte von einem schmalen Hals herab. Er sagte „Eberhard Richter, Chefredakteur“ und warf ihm dabei im Vorrübergehen eine Hand entgegen, die Tannenberg reflexartig ergriff und vorschriftsmäßig kurz drücken wollte. Aber da war sie schon wieder weg.
„Schön Sie hier bei uns zu sehen. Setzen Sie sich
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