Diplomat Im Abseits
Nikolaifleet treibenden Frau berichteten. Damit lief die Bergung einer Leiche und die polizeiliche Todesermittlung an – makabre Routine in einer Großstadt wie Hamburg, in der schon mancher »in die Elbe gegangen« war.
Die Rechtsmediziner arbeiten an allen Orten nach den gleichen anerkannten Grundsätzen der Wissenschaft – vor allem aber in Räumen, die keinerlei Wärme ausstrahlen. Der Tod hat zwischen Stahl, Keramik und Kunststoff zwar nicht seine Bedeutung, aber doch weitgehend seinen Schrecken verloren. Der Leichnam aus dem Nicolaifleet war schnell untersucht; der Obduktionsbefund bot ein paar Besonderheiten. Danach hatte die Leiche der noch recht jungen Frau seit einigen Tagen unter Wasser gelegen, bevor sie aufgetrieben war. Der Tod war aber vorher durch Ersticken eingetreten, mit großer Wahrscheinlichkeit durch Unterbrechung der Luftzufuhr, wie es zum Beispiel geschieht, wenn der Kopf in einer Plastiktüte unter Verschluß gehalten wird. Das Einatmen von Kohlenmonoxyd oder anderer Gase wurde ausgeschlossen. Reste von Klebestreifen an den Handgelenken und an den Fußknöcheln untermauerten den Verdacht, daß das Opfer gefesselt worden war. Auch kaum wahrnehmbare Oberflächenverletzungen der Gesichtshaut deuteten darauf hin, daß man den Mund ebenfalls durch einen Paketklebestreifen verschlossen hatte. Die Streifen waren dann wieder entfernt worden. Offensichtlich sollte hier ein Selbstmord durch Ertrinken vorgetäuscht werden.
Die Tote wurde bestimmt als eine nicht mehr als 25 Jahre alte Frau, die alle Merkmale einer südostastiatischen Rasse aufwies: zartgliedrig, typischer Gesichtsschnitt, kurzes, nach innen geschwungenes Nasenbein, dunkelhaarig.
Der Obduktionsbericht zusammen mit den noch erträglich wirkenden Fotos der Ermordeten war im Polizeipräsidium beim Chef 211 auf dem Schreibtisch gelandet. Zuständig war somit die Abteilung 2 »Ermittlungen«, und hier die Inspektion 21, »Tötungs- und Sexualdelikte, Brandermittlung«. Die Mordkommission unter der Ziffer 211 »Tötungsdelikte« hieß in Hamburg Mordbereitschaft. Ihr Leiter war der bedächtige, aber solide arbeitende Kriminalhauptkommissar Biestritz. – Von 211 erfolgte die Abstimmung mit dem Referat für Vermißte und unbekannte Tote. Alle Informationsstränge waren durch das Netz der elektronischen Datenverarbeitung miteinander verknüpft.
Die in die Terminals eingegebenen Daten paßten auf eine Person, die von einer anonymen Anruferin als verschwunden gemeldet worden war: Subin Tairong. Die Ermittlungen in dieser Vermißtensache liefen – soweit man die bisher getroffenen Maßnahmen als Ermittlungen bezeichnen wollte. Verfügt war: »Wiedervorlage nach einem Monat.«
Biestritz hatte sich die Vermißtenakte kommen lassen und blätterte den Reisepaß durch. »Alles stinknormal«, war sein Kommentar. Erst bei einer abermaligen Durchsicht fiel ihm die auf der letzten Seite mit einer Feinstrichmine in die laufende Dokumentennummer hineingeschriebene Zahlenreihe auf, die mit 022836… begann. Anders als Bongo vom Babylon dachte Hauptkommissar Biestritz nicht an ein geheimes Bankkonto, sondern an die Vorwahlnummer eines Telefonanschlusses in Deutschland. Im AVON-Verzeichnis war 0228 schnell als die Ortskennzahl von Bonn identifiziert. – Der Ruf ging ab, aber auch nach dem dritten Versuch meldete sich niemand, nur das Freizeichen zeigte an, daß der Anschluß noch bestand.
Vom Fernmeldeamt erfuhr Hauptkommissar Biestritz, daß diese Telefonnummer zum Anschluß B. von Campen in Bonn 2, Viktoriastraße, gehörte.
Nur wenige Minuten später läutete im 1. Kommissariat des Polizeipräsidiums Bonn das Telefon. Fräulein Kuhnert hatte zum Chef durchgeschaltet, weil sie ein unaufschiebbares Bedürfnis jenseits des Ganges erledigen mußte – und verpaßte damit einen entscheidenden Moment der Ermittlungen.
Ihr Kommissar schob eine Akte zur Seite und nahm den Hörer ab. »Freiberg, erstes Kommissariat.«
»Biestritz, Mordbereitschaft, Polizeipräsidium Hamburg. – Wie war Ihr Name bitte?«
»Hauptkommissar Freiberg.«
»Altes Haus!« dröhnte es aus der Ohrmuschel. »Hier spricht Biestritz. Du erinnerst dich an die Arbeitstagung in der Polizeiführungsakademie Münster: Räuberische Erpressung?«
»Hallo, Werner, du bist’s. Vor allem erinnere ich mich an den Riesenkater, den ich nach dem Gemeinschaftsabend bei Pinkus hatte. Wie geht’s dir – alles munter am Tor zur Welt?«
»Und ob! Dafür sorgen schon die beiden Kinder, und meine
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