Diplomatische Beziehungen (German Edition)
Frühsommer, doch das launische europäische Wetter fiel ein wenig frisch aus. Wenigstens regnete es nicht.
Er würde bis zur britischen Botschaft etwa zehn Minuten brauchen, wenn er sich Zeit ließe. Das Ärgerlichste daran war, dass er bis zum nächsten Zebrastreifen ein ganzes Stück weit laufen musste, doch er hatte nicht vor, sein Leben zu riskieren, indem er die Allee, die Teil einer der meistbefahrenen Straßen der Brüsseler Innenstadt war, auf andere Weiseüberquerte. Eigentlich störte ihn das Laufen nicht – es würde ihm helfen, einen klaren Kopf zu bekommen.
Warum hatte er sich in diese Lage gebracht? Warum hatte er sich erneut von einem Mann den Kopf verdrehen lassen? Und dann noch von einem verheirateten. Selbst wenn auch nur die geringste Chance bestünde, dass Jack an ihm interessiert war, hatte der Mann sogar noch mehr zu verlieren als Lucas. Er hatte es bis zum höchsten diplomatischen Rang gebracht. Einem amerikanischen Botschafter. Und Lucas hatte seine Frau gesehen: die perfekte Frau für einen Botschafter. Und er musste zugeben, dass er sie mochte. Sie war eine unverkennbar starke Frau und obwohl Jack ein erstklassiger Diplomat war, hatte er in dieser Beziehung zweifellos nicht das Sagen. Jack tat ihm beinahe leid, doch er wusste um den Wert einer starken Frau, auf die man sich verlassen konnte. Seine Mutter war genauso gewesen, doch als seine Eltern jung waren, war die Frau eines Diplomaten eher „Vorzeigefrau“. Sie musste schön sein und ein Organisationstalent, doch sie musste auch still sein und ihr Können wurde von niemandem zur Kenntnis genommen.
In den letzten paar Jahren war Lucas schmerzhaft bewusst geworden, dass er seine Diplomatenkarriere, ohne die richtige Frau am Arm, abschreiben konnte. Selbst in den niedrigeren Positionen, der unsichtbaren Masse, waren zum Weiterkommen die perfekten Voraussetzungen nötig. In den drei Jahren, in denen er für das britische Auswärtige Amt gearbeitet hatte, war er von einer niederen Tätigkeit zur nächsten geschickt worden, während ihm jeder seiner Vorgesetzten versichert hatte, er würde es dank seiner Herkunft weit bringen, nur um dann doch wieder außen vor gelassen zu werden.
Bis er zu einem der Empfänge in der Botschaft eine Frau mitgebracht hatte. Sie waren noch nicht einmal richtig zusammen, doch sie war die Tochter des neuen Wirtschaftsberaters und hatte ihn um ein Date gebeten.
Ihm war nie klar gewesen, dass eine einzige Verabredung ihn auffallen lassen würde. Und als er dann mit einer amerikanischen Freundin aus Kalifornien zurückkam, wurde er zum stellvertretenden Leiter der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit befördert, und dieselbe Freundin schien nun der Grund zu sein, aus dem man ihm zum Verbindungsbeamten mit den Amerikanern gemacht hatte. Und dabei war sie noch lange keine perfekte Diplomatenehefrau.
Wieder mit Männern auszugehen, kam also nicht in Frage. Er würde seinen amerikanischen Botschafter aus seinen Gedanken verbannen müssen. So. Abgehakt.
Nachdem er ein letztes Mal die frische Morgenluft eingeatmet hatte, zog er seinen Sicherheitsausweis durch das Lesegerät, um die Tür des Personaleingangs zu öffnen, und betrat die Botschaft. Er ging direkt zu seinem abstellkammergroßen Büro weiter und hatte kaum seinen Mantel aufgehängt, als das Telefon klingelte.
„Mr. Carlton, hier spricht Gertje, Mr. Christensens Assistentin. Darf ich ihn zu Ihnen durchstellen?“
Ihm wurde schwindelig. Eine Viertelstunde nachdem ich gegangen bin, ruft er mich schon wieder an? Beruhig dich, Kumpel, und antworte der Frau . „Natürlich, Gertje. Danke.“
Er hörte das Klicken der Weiterleitung und dann eine leicht heisere Stimme. „Hi, hier ist Jack.“
Lucas schluckte, als er hörte, wie Jack sich räusperte. „Ja, ich weiß.“ Er lachte. „Schließlich hast du eine sehr effiziente Sekretärin.“
„Bist du gut angekommen?“
Jacks Versuch, Small Talk zu machen, brachte Lucas zum Lächeln, doch er musste zugeben, dass er ihm gern zuhörte. „Ja, der Mittagsverkehr war die Hölle, aber ich habe es heil bis hierher geschafft.“
Der ältere Mann räusperte sich erneut. War das so etwas wie eine nervöse Angewohnheit?
„Ich habe vergessen, dir zu sagen, oder eher zu fragen … Maria hat vorgeschlagen, dass ich dich und Lucy zum Essen einlade. Am Samstag, wenn ihr Zeit habt. Wenn nicht, dann vielleicht nächsten Donnerstag, weil wir nächsten Samstag schon an einer Veranstaltung teilnehmen müssen, also
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