Dir darf ich nicht gehören
ist
so, weil er es mir geschenkt hat«, sagte sie, »und weil der Unterschied
zwischen dem Leben hier und dem in London der Unterschied zwischen Himmel und
Hölle ist.«
Er war
bestürzt - und überaus beunruhigt.
»Lebt
Ihre Mutter noch in London?«
»Ja.«
Er
erkannte, dass sie diese einsilbige Antwort nicht weiter ausführen würde. Aber
bei ihrer Mutter zu leben, schien eine weitere Lösung zu sein.
Sie
hatten fast das Ende des Weges erreicht. Der Hügel stieg steil vor ihnen auf.
»Wollen
wir hinaufklettern?«, fragte er.
»Natürlich.«
Sie hielt nicht einmal inne, sondern raffte mit beiden Händen den Saum ihres
Kleides und stapfte aufwärts, den Kopf gesenkt, um sehen zu können, wo sie
hintrat. Sie hielt inne, um durchzuatmen, als sie den Kamm des Hügels noch
nicht erreicht hatten, und er bot ihr eine Hand. Sie ergriff sie, und er zog
sie den restlichen Hügel hinauf, bis sie auf dem nur dünn mit Gras bewachsenen
Kamm standen.
Er
beging den Fehler, ihre Hand nicht sofort loszulassen. Nach einigen Momenten
wäre es ungeschickter gewesen, sie loszulassen, als sie weiterhin festzuhalten.
Ihre Finger hielten seine fest.
»Wenn
ich als junge auf dem höchsten Hügel in Acton Park stand«, erzählte er, »habe
ich ihn mir immer als das Dach der Welt vorgestellt. Ich war der Herr all
dessen, was ich überblicken konnte.«
»Phantasie
ist das Wunder und die Magie der Kindheit«, sagte sie. »Es ist so leicht, ewig
daran zu glauben, wenn man ein Kind ist. An Für-immer-glücklich.«
Ach
habe immer geglaubt, das Für-immer-glücklich könnte man sich durch
ehrenhafte, heldenhafte und verwegene Taten verdienen.« Er lachte leise. »Wenn
ich einen oder zwei Drachen tötete, wären alle Schätze des Universums mein. Ist
die Kindheit nicht eine begnadete Zeit? Selbst wenn unweigerlich Ernüchterung
und Zynismus folgen?«
»Ist
das so?«, fragte sie, während sie den weiten Blick über die Felder, den Fluss
und das Haus genoss, das genau inmitten der Straßenbäume lag. »Gäbe es keine
Illusionen, dann gäbe es auch keine Ernüchterung. Aber dann hätte man auch
keine liebevollen Erinnerungen, mit denen man sich gegen die schmerzliche
Realität wappnen könnte.«
Ihre
Hand lag weich und warm in seiner. Ein leichter Wind ließ die Hutbänder
flattern, die von der Schleife unter ihrem Ohr herabhingen. Er wollte sie
unbedingt küssen und fragte sich, ob er sich in sie verliebt hatte. Oder war es
mitleidige Zärtlichkeit, die er für sie empfand? Oder nur sinnliche Begierde?
Aber im Moment empfand er keine besondere Begierde.
Sie
wandte den Kopf und sah ihn an. Ach wollte Sie hassen und verachten«, sagte
sie. »Ich wollte, dass Sie so schlecht und zügellos wären, wie ich es Ihnen in
meiner Vorstellung unterstellt hatte.«
»Aber
so bin ich nicht?«
Sie
antwortete mit einer Gegenfrage. »Ist Spielen Ihre einzige Schwäche?
Aber selbst wenn dem so ist, bedeutet das noch immer eine ernste Schwäche. Es
war das Laster, das die Gesundheit und das Glück meiner Mutter ruiniert und
mein Leben zerstört hat. Mein Stiefvater war ein zwanghafter Spieler.«
»Ich
verwerte niemals mehr, als ich mir zu verlieren leisten kann«, sagte er ruhig. »Ich
spiele nicht zwanghaft. Ich habe an jenem Abend nur gegen Bamber gespielt, weil
einer meiner Freunde zur Niederkunft seiner Frau fortgerufen wurde.«
Sie
lachte, aber es klang nicht belustigt. »Und so muss ich auch meine letzten
Illusionen aufgeben?« Es war eigentlich keine Frage.
Er sah
ihr in die Augen und dann nahm er ihre Hand und hob sie an die Lippen. »Was
soll ich nur mit Ihnen tun?«
Sie
antwortete nicht, aber das hatte er in Wahrheit auch nicht erwartet. Er beugte
den Kopf näher zu ihr und sein Herz pochte schmerzhaft, weniger weil er wusste,
dass er sie küssen würde, als vielmehr wegen der Worte, die er zu ihr sagen
würde und anscheinend nicht zurückhalten konnte. Es gab wirklich nur eine
Lösung dieser Situation, die er auf Pinewood vorgefunden hatte, und in diesem
Augenblick schien es ihm eine eher wünschenswerte Lösung. Es war vielleicht an
der Zeit, wieder zu vertrauen - auch in die Liebe.
»Miss
Thornhill«, begann er.
Aber
sie entzog ihm ihre Hand und wandte ihm den Rücken zu. »Du meine Güte«, sagte
sie, »das Mittagessen muss schon lange fertig sein! Ich hatte vollkommen die
Zeit vergessen, als Sie mich zum Spaziergang aufforderten. Das lag vermutlich
am Kakao und den Keksen. Ich bin froh, dass Sie an Erfrischungen gedacht
hatten.
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