Dir darf ich nicht gehören
beendete ihre Mahlzeit
gerade, als er den Speiseraum nach einem frühen Ritt betrat. Sie sah wie immer
ordentlich gekleidet und natürlich aus. Sie würde den größten Teil des Tages
fort sein, informierte sie ihn. Es war der Tag, den sie mit Besuchen bei
kranken und älteren Menschen zu verbringen pflegte. Ihm fiel auf, dass man
einen solchen Zeitvertreib von Lilian Talbot nicht erwarten würde. Aber er war
recht froh, dass sie nicht in der Schule aushalf, denn er hatte versprochen,
selbst dorthin zu gehen, um Jamie, dem MöchtegernLateingelehrten, eine weitere
Unterrichtsstunde zu erteilen.
Er
beabsichtigte, anschließend den Vater des jungen aufzusuchen, um
herauszufinden, was für die zukünftige Ausbildung des jungen arrangiert werden
könnte. Jamie sollte ein gutes Internat besuchen. Ferdinand war durchaus
bereit, das ganze Unternehmen selbst zu finanzieren, müsste sich aber mit dem
Stolz der Eltern auseinander setzen. Er würde eher von Stipendien sprechen
müssen, dachte Ferdinand, als von finanzieller Unterstützung.
»Nehmen
Sie an der Gesellschaft morgen Abend teil?«, fragte Viola Thornhill, bevor sie
ging.
In den
Versammlungsräumen über dem Gasthaus sollte ein Tanzabend stattfinden. Er hatte
davon gehört, wo immer er hinging. Natürlich wollte er daran teilnehmen. Es war
ihm wichtig, aktiv am Dorfleben teilzuhaben.
»Ja, in
der Tat«, antwortete er. »Sie können mit mir in der Kutsche dorthin fahren.«
»Danke.«
Sie lächelte. »Aber ich werde in Crossings speisen und mit den Claypoles zu der
Gesellschaft gehen.«
Die
Claypoles würden samt und sonders einen Herzanfall bekommen, wenn sie die
Wahrheit über sie erführen, dachte er.
Er sah
sie den restlichen Tag nicht wieder. Er speiste zu Hause, aber sie nicht. Er
ging zur Chorprobe in der Kirche, aber sie nicht. Er erfuhr, als er nach Hause
zurückkehrte, dass sie im Cottage eines Arbeiters aufgehalten worden war: Sie
half bei der Versorgung von fünf kleinen Kindern, während die Mutter ein
sechstes bekam.
Ferdinand
war sich bewusst, dass man sie vermissen würde, wenn sie Pinewood verließ.
Seine Nachbarn behandelten ihn höflich. Einige wenige hatten sich auch für ihn
erwärmt. Aber er spürte, dass die meisten von ihnen es ihm noch immer
verübelten, dass er gekommen war, um ihre Miss Thornhill zu vertreiben.
Dieses
Mal hörte er sie nicht nach Hause kommen. Er schlief mit aufgeschlagenem Buch
und bei noch immer brennender Kerze ein. Sie war erst um vier Uhr morgens
zurückgekehrt, wie er beim Frühstück erfuhr dem sie fernblieb. Als er nach
einer Sitzung mit Paxton zum Haus zurückkam, war sie bereits zur Schule
aufgebrochen.
Er sah
sie am Nachmittag, als sich der Handarbeitskreis der Damen wieder im Salon
versammelte. Sie saß mit ihrer Handarbeit sittsam da, als er eintrat, um die
Damen schamlos zu bezaubern und ihnen einige weitere Kapitel aus Stolz und Vorurteil
vorzulesen. Viola Thornhill fuhr mit ihrer Handarbeit unentwegt fort, ganz so,
als wäre er nicht da, und sie beugte den Hals anmutig über ihren Stickrahmen.
Das hereinströmende Sonnenlicht setzte goldene und kastanienbraune Lichtpunkte
in ihre überwiegend dunkelroten Haarzöpfe. Sie trug eines ihrer einfachen, hübschen
Musselinkleider.
Hätte
Tresham es nicht gesagt, er würde seinen eigenen Augen misstrauen. Wie konnte
sie dieselbe Frau sein wie jene sinnliche Kurtisane in Gnass' Loge mit dem
hochmütigen, verächtlichen Halblächeln? Oder dieselbe Frau, die ihm vor zwei
Tagen eine Wette aufgezwungen hatte?
Er
speiste allein, bevor er zu der Gesellschaft fuhr. Sie war mit den Claypole-Damen
davongegangen. Es blieben noch fünf weitere Tage. Dann wäre er frei. Sie wäre
fort und er würde sie niemals wiedersehen.
Fünf
weitere Tage.
Aber
der Gedanke heiterte ihn nicht annähernd so sehr auf, wie er es hätte tun
sollen.
Während ihrer Zeit
als Kurtisane hatten die Männer adlige, reiche, mächtige, einflussreiche Männer
- Lilian Talbot unaufhörlich verfolgt. Viola Thornhill hatte keine
Ahnung, wie sie einen Mann verführen sollte, der entschlossen war, sie nicht zu
nehmen. Nicht dass Lord Ferdinand sie nicht begehrte. Sie wusste, dass er sie
begehrte. Er hatte sie bei vier unterschiedlichen Gelegenheiten geküsst. Und in
der Nacht, in der er die Urne zerbrochen hatte, war er weiteren Schritten sehr
nahe gewesen. Nein, der Mangel an Verlangen würde es ihr nicht erschweren, ihn
zu verführen. Es war seine Wettleidenschaft, seine Entschlossenheit, die
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