Dir darf ich nicht gehören
ihm nichts anderes übrig, als ihr den Stuhl zurechtzurücken, selbst Platz
zu nehmen und das Beste aus der Situation zu machen. Sie unterhielten sich
höflich über eine Reihe von Themen. Viola erzählte, wie sie den
Handarbeitskreis der Damen gegründet hatte, als gesellschaftliches Ventil für
die Frauen der Nachbarschaft, und bemerkte lächelnd, dass sich Frauen auch in
Gesellschaft gerne nützlich machten. Er erzählte ihr wiederum von Tattersall
und den Pferdeauktionen, die dort allwöchentlich abgehalten wurden.
Sie
sprachen übers Wetter.
Sie
erzählte ihm, der Flussweg sei so überwachsen gewesen, als sie das erste Mal
nach Pinewood kam, dass sie geglaubt hatte, das Gelände wäre eine reine
Wildnis. Als sie entdeckt hatte, dass es dort einen genau bezeichneten Weg gab,
hatte sie die Gärtner dorthin geschickt und sogar einige der Farmarbeiter für
diese Arbeit abgestellt. Er erzählte ihr von Oxford und davon, welche Freude
ihm der Aufenthalt in den dortigen Bibliotheken und die unverschämten
Unterhaltungen der Intellektuellen gemacht hatten.
»Es
wundert mich«, sagte sie, »dass Sie nicht dort geblieben sind und Dozent oder
Professor oder Universitätslehrer wurden.«
»Nein.«
Er lachte. »Als ich meine Studien beendet hatte, schwor ich, niemals in meinem
Leben wieder ein Buch aufzuschlagen. Ich wollte leben.«
Sie
sprachen übers Wetter.
Sie
erzählte ihm, dass ihre einzige wirkliche Verschwendung, seit sie nach
Somersetshire gekommen war, darin bestand, sich Bücher zu kaufen. Sie hatte sie
aus London und Bath kommen lassen. Einige der Bücher in der Bibliothek waren
während der letzten zwei Jahre hinzugekommen, einschließlich der Ausgabe von Stolz
und Vorurteil, aus der er den Damen vorlas. Er sprach über das Buch und sie
führten eine kurze, aber geistreiche Diskussion über dessen Verdienste.
Sie
sprachen übers Wetter.
Als sie
sich nach beendeter Mahlzeit erhob und verkündete, sie würde ihn nun seinem
Portwein überlassen, stieß er heimlich einen erleichterten Seufzer aus. Wieder
war ein Tag vorüber. Sie war unglaublich schön. Sie war auch charmant und
intelligent und eine interessante Begleiterin. Es war leicht, sich entspannt
dem Vergnügen ihrer Gesellschaft zu überlassen und zu vergessen, dass er sie
nach zwei weiteren Tagen niemals wiedersehen würde.
Er
empfand den Gedanken eher als niederdrückend.
Nur
zehn Minuten später verließ er den Speiseraum, ohne Portwein getrunken zu
haben, und ging zur Bibliothek. Aber Jarvey fing ihn ab.
»Ich
habe ein Teetablett in den Salon hinaufgebracht, Mylord«, sagte er, »auf Miss
Thornhills Bitte hin.«
Erwartete
sie, dass er sich dort zu ihr gesellte? Aber es wäre unfreundlich von ihm, es
nicht zu tun.
»Sie
hat mich gebeten, Sie darüber zu informieren«, fügte der Butler hinzu.
Viola
goss sich gerade eine Tasse Tee ein, als er den Raum betrat. Sie schaute auf,
lächelte und goss dann auch ihm eine Tasse ein.
»Sie
sind nicht lange geblieben.«
Sie
nahm ihre Tasse und Untertasse und setzte sich auf eine Seite des Kamins. Sie
hatte ein Feuer entfachen lassen, obwohl die Nacht nicht kalt war. Aber draußen
war es bereits fast dunkel und die Kerzen brannten. Das Feuer verlieh dem Raum
Behaglichkeit. Er nahm den Platz auf der anderen Seite des Kamins ein.
Viola
schwieg. Sie trank ihren Tee und schaute eher verträumt in die Flammen. Sie
wirkte entspannt und anmutig zugleich.
»Warum
sind Sie Kurtisane geworden?«, fragte er und hätte sich auf die Zunge beißen
können, sobald die Frage heraus war.
Sie
richtete den Blick auf sein Gesicht, und ihr Ausdruck veränderte sich so
langsam und subtil, dass er sich dessen eine Weile nicht bewusst war. Er war
sich nur eines jähen Unbehagens bewusst.
»Warum
arbeitet man?«, fragte sie zurück. »Wegen Geld natürlich.«
Er
hatte während der letzten Tage viel über diese Frage nachgedacht, was er vorher
nie getan hatte. Aber nun folgerte er, dass Huren aus einem von zwei möglichen
Gründen in dieses Gewerbe eintreten mussten: aus Liebe oder aus finanziellen
Gründen. Was war ihr Grund gewesen? Sie hatte die Frage beantwortet. Aber sie
war lange Zeit Londons führende Kurtisane gewesen und hatte als Vergütung ein
Vermögen verlangt. Nach etwa einem Jahr hätte sie gewiss nicht mehr wegen des
Geldes arbeiten müssen. Sie hatte bestimmt genug verdient, um sich bequem
zurückziehen zu können.
»Wofür
brauchten Sie das Geld?«, fragte er.
Ihr
Lächeln war, wie er jäh erkannte,
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