Dir darf ich nicht gehören
versuchen, wohl wissend, dass er bald zu seinem
Zimmer heraufkäme, das nicht weit von ihrem entfernt war. Sie zog rasch eines
ihrer Alltagskleider an, legte sich eine warme Jacke um die Schultern und nahm,
wie als Nachgedanken, die Decke herab, die stets gefaltet auf dem
Kleiderschrank lag.
Am
schwersten war es, ihr Zimmer wieder zu verlassen. Sie legte ein Ohr an die Tür
und lauschte. Es war nichts zu hören. Sie öffnete die Tür einen Spalt und spähte
hinaus. Nichts und niemand. Sie eilte mit pochendem Herzen den Gang entlang,
bereit, in ihr Zimmer zurückzulaufen, falls sie ihn auf der Treppe sah. Aber
die Treppe war verwaist, und sie lief hinab, hielt inne, als sie den Salon
erreichte, und betrachtete wachsam die Tür. Sie blieb geschlossen. Sie stürzte
in die Eingangshalle hinab, die Gott sei Dank ebenfalls leer war, zog die
Riegel der Eingangstür so rasch und leise wie möglich zurück und glitt hinaus.
Dann zog sie die Tür langsam wieder zu, bemüht, kein Geräusch zu verursachen.
Eine
Minute später hastete sie über die Terrasse und die abschüssige Wiese hinab,
bis die Bäume, die den Flussweg überschatteten, sie schützten. Da erst
verlangsamte sie ihren Schritt. Sie musste langsamer gehen. Das Mondlicht drang
nicht bis hierher und sie musste ihren Weg durch Tasten und die Erinnerung
finden. Sogar der Weg selbst war dunkel - fast erschreckend dunkel. Aber
sie tastete sich voran und sagte sich, dass Geister und Gnome den Räumen von
Pinewood Manor heute Nacht vorzuziehen waren. Schon bald hatte sie den Schutz
der Bäume verlassen, und es war wieder hell genug, dass sie den Weg erkennen
konnte. Auf der Wasseroberfläche des Flusses funkelte die Helligkeit sogar,
Sie
setzte sich genau auf den Fleck, wo sie eine Woche oder zehn Jahre zuvor die
Gänseblümchenkette geflochten hatte. Es war keine frostige Nacht, aber sie wickelte
sowohl ihre Jacke als auch die Decke um sich, da sie zitterte. Während sie dort
saß, versank sie in tiefe Verzweiflung. Kein Hoffnungsschimmer war geblieben.
Sie zog die Knie an, schlang ihre Arme darum und legte die Stirn auf die Arme.
Aller
Kampfgeist war aus ihr gewichen, und sie wusste nicht, wie sie jemals die Kraft
finden sollte, sich wieder zu erheben. Aber es wäre nicht so viel Kraft nötig,
dachte sie flüchtig, die wenigen Fuß von ihrem Platz bis zum Flussufer
zurückzulegen. Der Fluss war tief und strömte rasch dahin. Sie müsste nur ...
Aber
selbst die Flucht ins Vergessen war keine Alternative. Wenn sie starb, müsste
Claire ihren Platz einnehmen ...
Ein
Zweig knackte und sie hob ruckartig den Kopf.
»Keine
Angst«, sagte eine Stimme. »Ich bin es nur.«
Sie
hätte die Geister und Gnome vorgezogen. Bei weitem vorgezogen.
»Gehen
Sie weg«, sagte sie erschöpft und stützte die Stirn wieder auf die Knie.
Er
antwortete nicht. Und er ging auch nicht weg. Sie spürte eher, als dass sie es
hörte, wie er sich neben sie aufs Gras setzte.
»Woher
wussten Sie, dass ich hier bin?«, fragte sie.
»Ich
habe Sie gesehen«, erklärte er, »vom Salonfenster.«
Und er
war ihr gefolgt, sein Verlangen unbefriedigt. Aber er hatte Pech. Lilian Talbot
war tot. Oh, sie musste nur allzu bald wieder zum Leben erweckt werden, aber
nicht heute Nacht. Nicht hier. Und niemals bei ihm.
Sie saß
schweigend da. Er ebenso. Letztendlich würde er gehen, dachte sie, und sie wäre
wieder ihrer Verzweiflung überlassen. Es ängstigte sie. Sie hatte selbst in
ihren düstersten Momenten nie viel auf Selbstmitleid gegeben.
Und
dann spannte sich *jeder Muskel in ihrem Körper an. Er berührte ihren Kopf, so
leicht, dass sie einen Moment nicht sicher war, ob ihre Sinne ihr nicht einen Streich
spielten. Aber dann spürte sie, wie seine Fingerspitzen, federleicht, durchs
Haar ihre Kopfhaut massierten.
»Schschsch«,
murmelte er, obwohl sie kein Wort gesagt hatte.
Sie
wagte es nicht, sich zu bewegen. Sie wollte sich nicht bewegen. Seine Berührung
fühlte sich so ausgesprochen gut an, so ausgesprochen tröstlich. Stets war sie
diejenige gewesen, die Genuss verschaffte. Keiner ihrer Kunden hatte jemals an
ihren Genuss gedacht. Warum sollten sie auch? Außerdem war persönliche
Befriedigung bei ihrer Arbeit stets der abwegigste aller Gedanken gewesen. Sie
ließ die Verzweiflung los und nahm das kurze Geschenk des Augenblicks an. Alle
ihre Muskeln waren entspannt, als er die Hand hob und ihr Haar auf die ihm
abgewandte Seite strich. Dann lagen seine Lippen auf ihrem Nacken, warm, weich
und
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