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Dirigent

Dirigent

Titel: Dirigent Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Quigley
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bestürzt, dass er kaum sprechen konnte. »Sonja, du kannst das Cello nicht mitnehmen.«
    Ihr Mund ging auf, wurde vor Entsetzen kreisrund. »Aber ich muss! Wie soll ich denn sonst üben?«
    »Du darfst nur das Minimum mitnehmen. Warme Kleidung, Reiseproviant, mehr nicht. Üben ist im Moment nicht wichtig.«
    »Du bist Musiker, wie kannst du so etwas sagen?«, riefSonja. »Nichts ist wichtiger als Üben. Du redest wie ein Dummkopf.«
    Plötzlich wurde Nikolai wütend. »Glaubst du denn, ich stelle die Regeln für diesen verdammten Krieg auf? Wenn du das Cello mitnimmst, wirst du es los sein, bevor der Zug auch nur zehn Meilen hinter Leningrad ist. Man wird Feuerholz daraus machen oder einen der Funktionäre damit bestechen. Wie wird dir dann zumute sein?«
    »Aber wenn ich das Cello hierlasse, wie soll Mama mich dann finden?« Sie schwankte im Türrahmen. »Ich habe ihr gesagt, dass ich das ›Lied ohne Worte‹ spielen werde, sobald ich in Pskow ankomme, damit sie genau weiß, wo ich bin.«
    Nikolais Wut verebbte. »Mama weiß immer, wo du bist, mit oder ohne Cello. Wie war das denn vor deinem Geburtstag, bevor dir das Cello gehörte? Bevor du überhaupt angefangen hast zu spielen?«
    »Ich gehe nicht«, sagte Sonja, den Blick auf den Boden geheftet. »Ohne das Cello gehe ich nicht.« Ihre Finger waren steif und unbiegsam und klammerten sich so fest um den Kasten, dass Nikolai jeden einzeln abklauben musste. Mit einem verzweifelten Blick auf die Uhr schob er das Cello in Sonjas Zimmer und nahm sie auf den Arm.
    »Wir müssen jetzt los! Sonst verpasst du den Zug, und das ist deine letzte sichere Chance, aus der Stadt zu kommen.« Sonjas Koffer knallte ihm gegen den Rücken, als er zur Tür stolperte und am Griff herumfummelte.
    »Lass mich runter.« Sie drehte den Kopf in einem unnatürlichen Winkel von ihm weg, als ertrüge sie es nicht, ihn anzusehen. »Lass mich runter. Ich bin kein kleines Kind.«
    Am Bahnhof herrschte ein Chaos wie in einem überfüllten Viehhof; ein Gedränge von Leibern auf jedem Bahnsteig. Frauen mit gewaltigen Busen und lauten Stimmen riefen Namen aus. Kinder mit Esspaketen am Handgelenkweinten und klammerten sich an Geländern fest; alte Frauen wachten derweil über ihre Häufchen Habseligkeiten.
    Nikolai ging auf die nächste Beamtin zu. »Von wo fahren die unbegleiteten Kinder ab?«
    Die Frau warf einen Blick auf ihre Liste. »Bahnsteig zwei.« Sie wischte sich mit dem Ärmel über die tropfende Nase.
    Sonja sah angewidert weg und folgte Nikolai zum überdachten Teil des Bahnsteigs, wobei sie sich dicht am Geländer hielt und mit der linken Hand jeden zweiten Gitterstab berührte.
    »Da ist der Treffpunkt«, sagte er. »Ich sehe ihn schon. Halt dich an meiner Jacke fest.« Er bahnte sich einen Weg durch die Menge von Kindern; es war, wie durch knietiefes Wasser zu waten.
    Sonja hinkte hinterher. »Du darfst –«, begann sie, doch ihre Stimme wurde vom Pfeifen eines Zuges übertönt.
    »Was hast du gesagt, Maus?« Nikolai bemühte sich, die Schar Mütter zu ignorieren, die um ein auf den Boden gefallenes Esspaket kämpften.
    »Du darfst niemandem erlauben, das Cello anzufassen.« Obwohl die Hitze zunahm, sah sie wie erfroren aus, ihr Mund ein kleiner Sprung im Eis.
    »Natürlich nicht!« Er versuchte, sich darauf zu konzentrieren, was sie sagte, doch er sah schon, wie Kinder in den Zug bugsiert wurden.
    Am Ende des letzten Waggons stand eine Frau, die Haken auf einer langen Liste machte. »Name?«, bellte sie.
    »Sonja Nikolajewska«, sagte Nikolai, warf einen Blick auf die Liste und zeigte mit dem Finger darauf.
    Die Frau zog das Klemmbrett weg. »Ja. Nummer 78. Trägt sie ihre Nummer?«
    »Eine Nummer! Sie braucht keine Nummer zu tragen. Sie kann sehr gut für sich selbst sprechen.«
    »Ich bin neun Jahre und fünf Wochen alt.« SonjasStimme erhob sich über das Geschrei und Geweine. »Ich hab schon mit drei meinen Namen schreiben gelernt.«
    Die Frau beachtete sie gar nicht. »Alle brauchen Nummern, sonst können sie nicht mitfahren.«
    Hoffnung leuchtete in Sonjas Gesicht auf. »Ich habe keine! Können wir nach Hause gehen?«
    Nikolais Magen krampfte sich zusammen; einerseits wünschte er sich nichts sehnlicher als das. »Man hat mich nicht darüber informiert, dass ich mein Kind kennzeichnen muss«, sagte er und blickte der Frau geradewegs in die Augen. »Aber das spielt auch keine Rolle. Sie wird in Pskow von ihren Verwandten abgeholt.« Wehe, du diskutierst mit mir , dachte er,

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