Diva (DE)
Augenblick begann der hellste Stern der Menschheit seinen Fall, und ein kreischender Halley’scher Komet stürzte auf die betriebsamen Bürgersteige der West Thirty-fourth Street .‹«
Das Katherine-Double hebt resigniert ihre perfekten Schultern. Sie kickt ihre Stöckelschuhe weg, klettert aufs Geländer und springt mit ausgebreiteten Armen in den Abgrund. Das idealisierte Webster-Double sieht ihr nach; dann hebt er ihre Schuhe vom Boden auf und schmeißt sie ihr nach.
Terrys Stimme liest: »›Ende.‹«
2. AKT, NEUNTE SZENE
Ich bitte um Verzeihung, aber ich muss noch einmal vor den Vorhang treten. Während Miss Kathie diversen Mordattacken zu entgehen sucht, scheint sich eine eigenartige Umkehrung zu vollziehen. Immerzu von einem gewaltsamen Tod bedroht, wird Katherine Kenton zu einem Muskelpaket. Ständig von Vergiftung bedroht, verliert sie jeglichen Appetit, und da sie unausgesetzt auf dem Posten sein muss, verzichtet sie auf Pillen und Alkohol. Die ewige Anspannung hat ihr Rückgrat entschlossen aufgerichtet. Sie hält sich kerzengerade, ihr Bauch ist flach, ihre Haltung ist die eines Soldaten, der schneidig aufs Schlachtfeld zieht. Die Gegenwart des Todes – immer im Nacken, immer nahe – hat sie zu kraftsprühendem Leben erweckt. Rosen blühen auf den Wangen meiner Miss Kathie. Ihre veilchenblauen Augen funkeln wachsam ob dräuender Gefahr.
Wirksamer als alle Schönheitsoperationen und Kosmetikartikel hat die Angst vor ihrer unmittelbar bevorstehenden Vernichtung Miss Kathie zu einer zweiten strahlenden Jugend verholfen.
Im Gegensatz dazu wirkt Webster Carlton Westward III , einst so jung und vollkommen, jetzt abgehärmt, zerschunden, ausgelaugt, sein schönes Gesicht zerfurcht … zerkratzt… zerstochen. Dem Prachtstück Webb fallen die Haare aus, täglich und büschelweise. Mit jedem weiteren vereitelten Anschlag duckt er sich tiefer wie ein geprügelter Hund.
Dennoch, aus welchen Motiven auch immer, fährt er beharrlich fort, sich bei meiner Miss Kathie einzuschmeicheln. Jederzeit droht ein Attentat, das wir nicht vorausgesehen haben, und Miss Kathie muss ständig auf der Hut sein. Einmal stieß sie in ihrem Zustand erhöhter Wachsamkeit den jungen Webster in der Nähe der Bethesda – Brunnen eine Treppe hinunter, und davon hinkt und humpelt er noch heute mit dem von Chirurgen in seinen zertrümmerten Knöchel eingesetzten Stahlstift. Bei einer anderen Gelegenheit, als sie im Russian Tea Room eine unbedachte Bewegung von ihm fälschlich als potentiell böswillig einschätzte, durchbohrte sie ihm in putativer Notwehr den Arm mit einem Steakmesser. Ein andermal stieß sie ihn von einem U-Bahnsteig. Sein vorbildlich amerikanisches Gesicht ist fahl und verschwollen von den Verbrennungen, die er erlitt, als Miss Kathie ihn mit einem brennenden Bananen-Flambé attackierte. Seine hellbraunen Augen sind trüb und blutunterlaufen von dem Reizgas, mit dem Miss Kathie ihn prophylaktisch besprüht hat.
Die Umkehrung geht also so: Während Miss Kathie immer vitaler und kräftiger wird, verfällt Webster in zunehmender Klapprigkeit. Ein Fremder, der dem Paar zum ersten Mal begegnet, wird kaum sagen können, wer von beiden jünger beziehungsweise älter ist. Wegen ihrer hochnäsigen Miene ist schwer zu erkennen, was Miss Kathie abstoßender findet: Websters Mordpläne oder den Verfall seiner Männlichkeit.
Und mit all diesen Narben und Brandwunden und Kratzern gleicht Webster immer mehr dem Monster, vor dem ich Miss Kathie gewarnt habe.
Es folgt ein harter Schnitt zurück zu der Generalprobe für die neue Broadway -Show, wo die Musik soeben mit den Stimmen der gesamten Besetzung einem Höhepunkt zustrebt, als Miss Kathie, unterstützt von Jack Webb und Akim Tamiroff , die amerikanische Flagge auf Iwojima hisst. Etliche Mack-Sennett -Schönheiten einer Florenz-Ziegfeld -Revue, als kaiserlich japanische Jagdpiloten in tief ausgeschnittene Edith-Head -Kostüme gesteckt, haken sich ein und schmeißen exakt synchron die Beine hoch, so dass ihre faschistischen Hintern zu sehen sind. Das Spektakel wird in der Halbtotalen gezeigt, alles ist in Bewegung, in Farbe und voller Musik, bis die Kamera aufzieht und man erkennt, dass – wieder einmal – der ganze Saal nahezu leer ist.
Luise Rainer singt während des Massakers von Nanking ein wenig schief, und Conrad Veidt verpatzt ein paar Tanzschritte während des Todesmarschs von Bataan , ansonsten aber scheint der erste Akt zu sitzen. Dichter
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