Diverses - Geschichten
angestrengt bemühte, nicht nachzudenken.
Sie erkannte ihn sofort, erkannte die zu weite, zu grelle Jacke, das dunkle, in die Stirn fallende Haar und den krummbeinigen Gang, den auch die schlabbernden Hosen nicht verstecken konnten.
Offenbar ahnungslos schlenderte er auf sie zu, blieb erst im Abstand von vielleicht zehn Metern vor ihr stehen, runzelte die Stirn.
Auffordernd sah sie ihn an, ein wenig zu streng vielleicht, eine unausgesprochene Warnung davor, dass er es nur nicht wagen sollte, sich ihr gegenüber etwas herauszunehmen.
Rolf zögerte, wich ihrem Blick für einen kurzen Moment aus, was ihm den Anschein von Unsicherheit verlieh. Susi fühlte sich irritiert, als hätte sich ein unvorhergesehener Aspekt seiner Persönlichkeit offenbart, die so gar nicht in ihr Bild passte.
Doch nur einen Augenblick später hatte er sich gefangen und trug wieder den vertraut hochnäsigen Ausdruck, der durch seine bleiche Haut und die halb geschlossenen Augenlider unterstrichen wurde.
Susi fiel auf, dass er weder Rucksack noch Schultasche bei sich trug und da sie vermutete, dass sein Schultag nicht kürzer sein durfte, als der ihre, schürzte sie verächtlich die Lippen. Kein Wunder, dass er schwänzte. Sicher fühlte sogar ein Kotzbrocken wie er, dass er unwillkommen war, dass ihn niemand hier haben wollte.
Susi senkte den Kopf, plötzlich beschämt. Seit wann war sie so elitär geworden, im Grunde lag eine Denkweise wie diese nicht in ihrer Art. Und doch brachte Rolf stets das Schlimmste in ihr zum Vorschein, die schlimmsten Vorurteile, die größten Abneigungen.
‚Er hat sich mit Hendrik geschlagen‘, sagte sie sich im Stillen. So war es denn kein Wunder, dass sie auf ihn nicht gut zu sprechen war. Ja, sie besaß jedes Recht, ihn nicht leiden zu können.
Sie sah auf.
Rolf stand immer noch vor ihr. Der Abstand zwischen ihnen hatte sich nicht verringert. Doch nun sah er sie an, unverwandt und mit einer Ernsthaftigkeit, die Susi einen kurzen, unerwarteten Schauer über den Rücken jagte.
Sie erwiderte den Blick. „Was?“, schnappte sie dann plötzlich, unfähig, die Stille noch weiter zu ertragen.
Rolf zuckte mit den Schultern. „Nichts“, antwortete er dann doch und ein schmales Lächeln kräuselte um seine Lippen. „Ich habe mich nur gefragt, was ein so braves Mädchen wie du allein hier draußen tut.“
Susi rümpfte die Nase. „Ich bin nicht brav“, verkündete sie, hauptsächlich um ihm zu widersprechen.
„Ach.“ Rolf zog seine Augenbrauen hoch und musterte sie dann von oben bis unten, mit Betonung auf ihre glattgestrichene Schuluniform.
Susi wand sich unbehaglich unter seinem Blick. „Und was tust du hier?“, fragte sie dann und bemühte sich, ihrem Ton die größtmögliche Schärfe zu verleihen.
Wieder zuckte Rolf mit den Schultern, verlieh der Achtlosigkeit in seiner Stimme Ausdruck. „Alles ist besser, als in dem Kaff herumzusitzen.“
„Du sprichst von meiner Heimatstadt“, erwiderte Susi und überlegte einen Moment. „Und jetzt auch von deiner“, fügte sie hinzu. „Sieht doch so aus, als habe dein Onkel dich für längere Zeit am Hals.“
Rolf grinste schief. „Der arme Kerl kann einem schon leid tun.“
„Das hast du gesagt“, gab Susi zurück und konnte es doch nicht verhindern, dass ihr ebenfalls ein Lächeln entschlüpfte.
„Also?“ Rolf legte den Kopf schief.
„Also was?“, fragte sie nun doch belustigt.
Rolf deutete mit dem Kinn zur Bank, auf den Platz neben ihr.
„Kann ich mich dazu setzen?“
Susi erstarrte nur kurz. „Hast du nichts Besseres zu tun?“, brummte sie dann.
Rolf durchquerte den Abstand zwischen ihnen in wenigen Schritten und setzte sich dann geschwind neben sie.
„Nein“, antwortete er und wand sich zu ihr, lehnte sich mit einem Arm gegen die hölzerne Lehne. „Um ehrlich zu sein, bin ich nur dafür hierhergekommen.“
„Ich wusste gar nicht, dass du so… so…“ Susi gingen die Worte aus und sie verstummte verlegen.
Rolf grinste. „Dass ich so romantisch bin?“, ergänzte er. „Du weißt vieles nicht von mir.
Susi entschlüpfte ein Kichern noch bevor sie es vermeiden konnte. „‘Romantisch‘ war nicht das Wort, dass mir in den Sinn kam.“
„Aha.“ Rolf lehnte sich zufrieden zurück. „Du meinst ein Herumtreiber und Schulschwänzer kann sich nicht an den Schönheiten der Natur erfreuen.“ Spöttisch zog er einen Mundwinkel hoch.
„Wie kommst du darauf?“ Doch trotz ihres Protestes errötete Susi.
„Na, ich liege
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