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Diverses - Geschichten

Diverses - Geschichten

Titel: Diverses - Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Lenz
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wusste, wie sie sich wünschte, die glänzende Nadel in ihren Arm zu senken, in der stillen Hoffnung die unerträgliche Sehnsucht endgültig zu vergessen. Die Sehnsucht nach dem Leben, das Connor gehasst hatte, und von dem er dennoch nie losgekommen war.
    Wie sollte es ihm auch möglich sein die Schuld, die Angst, den Schrecken hinter sich zu lassen, dem Frieden der Jahreszeit Zutritt in sein Herz zu gewähren, wenn er von allem ausgeschlossen war, das ihm jemals etwas bedeutet hatte? Wenn er diesen Tag ohne den Trost und die Unterstützung verbringen musste, die jeder Mensch verdiente, ohne Hinblick auf die Sünden, die er auf sein Gewissen geladen hatte.
     
    Lars starrte in die Flammen und spürte, wie die Kälte in ihm empor kroch, trotz der anheimelnden Wärme, die ihn umgab, trotz des mit Liebe erfüllten, zärtlich dekorierten Heimes, trotz des vertrauten Klirrens, das aus der Küche drang, in der Tanja emsig mit dem Geschirr hantierte.
    Die Kälte, von der er wusste, dass auch Connor sie in diesem Augenblick empfand, die sie heimlich teilten, unabhängig davon wie viele Meilen zwischen ihnen lagen.
    Er atmete den frischen Duft von Vanille und Nelken, als seine Frau mit der dampfenden Kanne auf ihn zu kam.
    Nein, er würde nicht warten, würde nicht seiner Angst die Herrschaft über seine Gefühle einräumen. Manche Risiken durften nicht vermieden, waren es wert, eingegangen zu werden. An diesem einen Tag im Jahr verdiente es niemand, verloren zu sein, nicht wenn eine einzige Seele auf der Welt existierte, die an diesen Menschen dachte, sich um ihn sorgte.
    Ein Lächeln zuckte nicht nur um seinen Mund, sondern strahlte bis in die dunklen Augen, erfüllte sie mit neuem Licht, als er Tanja dankbar einen Kuss auf die Wange hauchte, die sein Strahlen erwiderte, seine Hände in stummer Versicherung drückte, als wollte sie ihm zeigen, dass seine Entscheidung auch die ihre war.
     
    Connor drehte das abgegriffene Foto in seinen Händen, strich es wiederholt glatt, betrachtete die verblichenen Züge seiner Tochter, die ihm entgegen lachten. Er wünschte zu wissen, was sie tat, sehnte sich danach zu erfahren, wie sie diese Zeit verbrachte. Ob sie noch an ihn dachte, ihn hasste, ob sie ihn vermisste, oder ob sie froh war, diesen Teil ihres Lebens hinter sich zu lassen. Er spürte das vertraute Brennen hinter seinen Augen, wehrte sich verzweifelt dagegen, die Trauer zuzulassen, und wusste doch, dass er den Kampf bereits verloren hatte.
    Nur noch wenige Tage, dann würde auch dieses Jahr Vergangenheit sein. Nur für ihn hatte sich nichts verändert. Er war immer noch derselbe, unfähig sich zu lösen, unfähig, sein Schicksal zu lenken.
     
    Er starrte aus dem Fenster, betrachtete die spärliche Weihnachtsbeleuchtung auf der anderen Straßenseite und fühlte die Wut in sich aufsteigen. Es war die Wut auf sich, die Wut auf sein Leben, die Wut auf das, was das Leben aus ihm gemacht hatte. Sein Blick fiel von der Flasche auf den Tisch, von dem halbvollen Glas daneben nach draußen, auf den hageren Dealer an der Ecke. Sein Magen krampfte sich zusammen, als sein Körper unerbittlich nach Erlösung schrie.
     
    Das Handy schrillte und Connor fuhr zusammen, obwohl er wusste, dass die Leitung sicher war.
    Ohne, dass er einen Namen zu hören brauchte, spürte er mit einem Mal, dass er nicht mehr allein war, und trotz all seiner Trauer hielt doch endlich auch die Hoffnung Einzug in seinem Herzen.
     * * *
     
    Charlotte
     
    Charlotte setzte Mathilda behutsam in den Laufstall, den sie unmittelbar nach Kais Anruf besorgt hatte, richtete ihr die bunten Kissen, Stofftiere und die Bauklötze, so dass die Kleine nur noch die Qual der Wahl hatte. Mathilda gluckste vergnügt und griff sich einen Plüschhasen, den sie schon am Tag zuvor in ihr Herz geschlossen hatte. Erleichtert setzte sich Charlotte neben sie auf den Teppich und streckte seufzend die Beine aus. Vielleicht war das Mädchen wirklich schon zu groß für einen Laufstall, wie Daniel wiederholt kritisch bemerkt hatte, aber sie hatte nicht vor, mit dem Kind irgendein Risiko einzugehen, solange es in ihrer Obhut war.
    “Keine Sorge, Mathilda”, sagte sie mehr zu sich als zu dem Mädchen und blickte prüfend umher. “Sobald ich das Haus bis in den letzten Winkel kindersicher gemacht habe, kannst du auf Entdeckungsreise gehen.”
    Sie lächelte bei dem Gedanken an die vielen Dinge, die sie vorsichtshalber schon besorgt, und vor ihrem Mann bislang noch versteckt hatte. Wenn er

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