DJ Westradio
Thümi hatte mir nämlich vor ein paar Tagen auf der Klassenfahrt erzählt, daß Friedas Gefühle für mich offenbar nicht länger nur kumpelhaft seien. Da wurde mir schlagartig klar: Es gibt Gott wirklich! Jetzt mußte ich nur noch ein bißchen mutig sein.
Zunächst standen wir ganz harmlos nebeneinander auf dem Rang und sahen uns das Konzert an. Ich konnte ihr Westhaarspray riechen, mit dem sie ihre The-Cure-Frisur in Form gebracht hatte, und unsere Arme berührten sich hin und wieder wie zufällig. Mein Adrenalinpegel war schon recht hoch und mein Deo aus dem Intershop kurz davor zu versagen, aber wie nun den nächsten Schritt wagen?
Das Konzert war zu Ende, und ich hatte immer noch nichts gerissen. Wir liefen durch die nächtliche Südvorstadt bis zu ihrem Haus. Schließlich standen wir vor ihrer Tür und schauten uns an. Jetzt käme eigentlich der in unserer Clique übliche kleine Abschiedskuß, doch Gott drückte just in diesem Moment auf den Zeitlupeschalter, und so standen wir plötzlich einige Minuten küssend vor ihrem Haus, während wir uns an den Händen hielten und mich der Duft ihres Westhaarsprays betörte. Wie das Küssen fetzte. Wir standen eng umschlungen auf dem Fußweg und lächelten uns an. Ich drückte sie ganz fest an mich, die Endorphine in meinem Körper spielten völlig verrückt. Auch ohne es direkt auszusprechen, war es klar, daß wir nun »miteinander gehen« würden, selbst wenn wir in diesem Augenblick gar nicht gingen, sondern standen. Ich waram Ziel meiner Träume. Darauf hatte ich Ewigkeiten gewartet. Nach einiger Zeit und stillem Händchenhalten verabschiedete ich mich, denn wir waren beide noch nicht in dem Alter, wo man sich sofort auf einen Kaffee in die Wohnung einlud. Außerdem mußten wir ja mit unseren Schulkameraden am nächsten Morgen an der offiziellen 1.-Mai-Demo teilnehmen, und das hieß 6.30 Uhr aufstehen. Ich lief grinsend nach Hause und schrie meine Freude in die Nacht. Ich fühlte mich prächtig und fieberte der sonst endlos langweiligen Demo entgegen, bei der wir uns schon wiedersehen würden.
Wir hatten ein paar wunderschöne Wochen, und dann passierte mir etwas, womit ich nicht gerechnet hatte: Es stellte sich bei mir eine gewisse emotionale Sättigung ein. Ich fühlte mich, als hätte ich tagelang nur Mars-Riegel gegessen. Damit kam ich gar nicht klar, schließlich war Frieda jahrelang meine Traumfrau gewesen. Ich sprach darüber eher zufällig zunächst mit Daniela von unserer Steinplatzclique, die meine Verwirrung leider gleich an Frieda weiterpetzte. Schönen Dank, Frau »Radio Steinplatz«! Frieda war sauer, und ich konnte ihr nix erklären. Jedenfalls trennten wir uns wieder. Es war noch nicht die Zeit, wo man ernsthaft am Bestand von Beziehungen arbeitete, und es gab ja auch noch andere schöne Mädels. Ich machte mich gleich auf die Suche.
Kriegsspiele
Anfang der 80er Jahre befanden wir uns immer noch mitten im Kalten Krieg. In Ost- und Westdeutschland hatte man außerdem neue Atomraketen stationiert, nicht gerade wenige. Die DDR war Frontstaat. Wir in Leipzig lebten sozusagen in der potentiellen Hauptkampflinie. Das bayerische Hof ist gerade mal 150 Kilometer von Leipzig entfernt, Göttingen gut 200 Kilometer. Da mußte man eine Menge Leute für einen möglichen Krieg fit machen, wenn man nicht wollte, daß die Amerikaner dann schon zum Mittag bei uns im »Auerbachs Keller« saßen.
Die Nationale Volksarmee und die bei uns stationierte Rote Armee reichten offenbar nicht für eine eventuelle Landesverteidigung aus. Auch die paramilitärischen »Kampfgruppen der Arbeiterklasse«, gebildet aus Arbeitern der Großbetriebe, waren noch nicht genug. Die Berufsschüler bereitete man in der »Gesellschaft für Sport und Technik« (GST) auf den Krieg vor. Aber auch wir 15jährigen Schüler sollten trotz der nun langsam beginnenden Entspannungspolitik zwischen den USA und der Sowjetunion für unsere NVA-Zeit geschult werden.
Es war üblich, daß die Jungs aller 9. Klassen für eine Woche in ein »Wehrertüchtigungslager« fuhren. Das für unsere Region lag in Scheibe-Alsbach, einem kleinen Kaff im Thüringer Wald. Unter den Schülern nannte man es makaberer- und dummerweise, in Anlehnung anDrahtzäune und Holzbaracken, nur »Scheibe-Auschwitz«. Das Lager war riesig, und abends kam es manchmal zu Schlägereien zwischen Sachsen und Thüringern. Uns stand also eine Woche in Uniform bevor, mit jeder Menge militärischer Ausbildung und Drill unter Leitung von
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