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DJ Westradio

DJ Westradio

Titel: DJ Westradio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Lange
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knutschte inzwischen mit Katrin rum. Als ich sie anschließend noch bis vor ihre Haustür brachte, trafen wir vor dem Polizeirevier, welches gleich neben dem Scherbelberg lag, eine besoffene weinende Punkerfrau mit schickem Iro-Haarschnitt. Sie war vor ein paar Stunden mit einigen Punker-Kumpels aus fadenscheinigen Gründen von der Volkspolizei verhaftet und als erste freigelassen worden. Wir mußten ihr erst mal erklären, in welcher Ecke von Leipzig sie sich befand.
    Rüdi und ich tranken das mitgebrachte Bier, also in erster Linie Rüdi, denn ich fand es wirklich nicht genießbar. Schließlich begann er zu erzählen: »Ich bin ja jetzt schon einige Wochen mit Marie zusammen. Vorgestern auf der Party bei Triebi habe ich mit ihr das erste Mal geschlafen. Es war phantastisch, einfach unbeschreiblich. Aber wir haben nicht verhütet.« Cool, das »erste Mal«. Soweit hatte ich es noch nicht gebracht. Ich freute mich, daß Rüdi mir so ein Geheimnis anvertraute, wenn mir als Antwort auch erst malnichts Besseres einfiel als: »Mensch, das steht doch in jeder BRAVO, daß man immer verhüten soll.« Ich konnte damals nur erahnen, wie der Verstand beim Sex ausgeschaltet werden würde. Ob sie schwanger war, wußten sie noch nicht. Wir schauten in die untergehende Sonne und schmiedeten nach einer Weile Pläne, was man machen könnte, wenn es doch passiert wäre. Zum Beispiel könnten wir versuchen, uns eins dieser vielen leerstehenden Hinterhäuser in der Südvorstadt irgendwie unter den Nagel zu reißen und dort alle einzuziehen, die ganze Clique mitsamt Marie und dem möglichen Kind … Als es ganz dunkel war, gingen wir wieder nach Hause. Jetzt hieß es erst mal warten. Marie war dann doch nicht schwanger, und das war mit ihren 16 Jahren auch gut so.
    Was mich anging, ich war schon immer ein Schwärmer und Träumer. Besonders in Hinblick auf Mädchen. Manche Gelegenheit zum Sich-mal-eben-spontan-Verlieben habe ich verstreichen lassen, weil ich gerade für irgendein anderes Mädchen schwärmte – welches ich meist nur aus der Ferne kannte. Ich wollte lieber die Taube auf dem Dach als den Spatz in der Hand. Das lag sicherlich an der Pubertät, aber auch an meinem Unvermögen, mich bei Partys mit den anderen standesgemäß zu besaufen und dann mit der Nächstbesten »abzuschieben«, denn so begannen damals nicht wenige Beziehungen in unserer Altersgruppe.
    Eine dieser Schwärmereien war Frieda, die eigentlich Friederike hieß. Schon ihr Name war damals für mich so ungewöhnlich, daß sie gar nicht in die DDR paßte. Hier hießen die meisten Mädchen Anja oder Katrin, aber ich kannte nur die eine Friederike. Sie war ein Jahrjünger als ich, ging auch auf die »Hoffmann« und war mir schon vor Ewigkeiten aufgefallen. Was mir damals an ihr, neben ihrem attraktiven Äußeren, gefiel, waren ihre zahllosen schicken Westklamotten. Sie kam mir vor, als sei sie aus einem Westpaket entsprungen. Das glaubte ich ja genauso von mir, und darum fand ich, daß wir eigentlich wunderbar zusammenpassen müßten. Die Jahre gingen ins Land, ohne daß sie überhaupt Notiz von mir nahm. Ich hatte diesbezüglich auch nichts unternommen. Ihre Attraktivität ließ jedoch nicht nach – im Gegenteil. Sie erinnerte mich mit ihrem ernsten, etwas unnahbaren Blick an nicht wenige weibliche Stars aus der BRAVO, weil die damals ebenfalls immer so ernst schauten, wenn man mal von Kylie Minogue absah, denn die grinste in den 80ern auf all ihren Bildern.
    Erste Gelegenheiten zur Annäherung boten sich mir, als sie 1987 mit ihrer Freundin Geertje zu unserer Clique stieß und wir uns nun endlich ein wenig kennenlernten. Wir redeten sogar ziemlich oft miteinander, was in mir natürlich gewisse Hoffnungen weckte. Ich war ihr offenbar nicht unsympathisch. Sie interessierte sich zu dieser Zeit jedoch leider mehr für Markus von den Götzens-Zwillingen und für meinen Kumpel Nauni. Mehr als »gute Freunde« war nicht drin. Nun hatte ich so viele Jahre auf eine Chance gewartet, und dann so was. Ich durchlitt düstere Stunden in meinem Zimmer, und nur mein treuer Kassettenrekorder spendete mir Melodien des Trostes. Das Leben kam mir verdammt ungerecht vor. Aber meine Zeit sollte noch kommen.
    Zum Schlüsselerlebnis wurde ein Punkkonzert im Kino »Connewitz« am Vorabend des 1. Mai 1988. MeineErinnerung an die Bands ist weniger intakt als die an Frieda, mit der ich vom Rang aus das Geschehen verfolgte. Heute sollte alles anders werden – das hatte ich mir vorgenommen.

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