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Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)

Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)

Titel: Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Pearse
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genug davon. Die Mädchen waren den ganzen Tag in ihre Zimmer eingepfercht und hatten noch nichts zu essen. Zeit, dass sie zum Abendessen herunterkommen. Kein Wort von alldem zu ihnen, das gilt für euch beide! Ich spreche morgen mit dem Sergeant und frage ihn, ob bekannt ist, woher Millie stammt. Wenn nicht, werde ich die Beerdigung ausrichten. Das ist das Einzige, was ich noch für sie tun kann.«

KAPITEL 4
    Vier Tage nach dem Mord an Millie hatte Belle zum ersten Mal Gelegenheit, aus dem Haus zu gehen. Die Polizeibeamten tauchten zu allen möglichen Tageszeiten auf, um noch mehr Fragen zu stellen, und Annie war mit den Nerven am Ende. Nicht nur die Polizei machte ihr Sorgen, sondern auch das Gerücht, dass ein Zeitungsreporter in Seven Dials herumschnüffelte und die Leute ausfragte. Weil sie befürchtete, er könnte sich als vermeintlicher Kunde in ihr Haus einschleichen und später einen reißerischen Artikel über den Mord schreiben, hatte sie noch nicht wieder geöffnet.
    Rose und May hatten zwei Tage nach Millies Ermordung Annies Etablissement verlassen. Sie sagten, sie hätten Angst und wollten zurück nach Hause zu ihren Müttern, aber Mog war überzeugt, dass sie einfach in ein anderes Bordell gewechselt hatten. Die übrigen Mädchen, die nichts zu tun hatten, behaupteten mal, dass sie sich fürchteten, mit einem Mann allein zu sein, mal beschwerten sie sich, dass sie kein Geld verdienten. Praktisch jede Stunde gab es hitzige Auseinandersetzungen oder Streitereien, die Mog schlichten musste. Sie war der Meinung, dass sich die Mädchen sehr kindisch benahmen.
    Belle fand, dass sie selbst sich in der Zeit, die direkt auf den Mord folgte, recht gut gehalten hatte. Weder war sie hysterisch geworden, noch hatte sie etwas ausgeplaudert, was sie für sich behalten sollte. Sie hatte nicht einmal Angst gehabt, obwohl alle anderen im Haus zu glauben schienen, dass sie in Lebensgefahr schwebten. Aber anscheinend setzte der Schock mit Verspätung ein, denn am dritten Tag schrak sie in aller Frühe aus einem Albtraum über Millies Tod aus dem Schlaf. Alles war wie in Zeitlupe abgelaufen, jedesnoch so kleine Detail verstärkt und in die Länge gezogen worden, was das Ganze noch tausendmal beängstigender machte. Es ließ sie den ganzen Tag nicht mehr los, nicht nur der Mord, sondern auch die besondere Natur des Hauses, in dem sie lebte.
    Immer wieder spukte ihr das Wort »ficken« durch den Kopf, ein grobes Wort, das sie seit frühester Kindheit täglich gehört hatte, aber jetzt, da sie wusste, dass die Männer nur dafür in Annies Haus kamen, hatte es einen unheilvollen Beiklang. Einige der Mädchen waren nur ein paar Jahre älter als sie, und Belle fragte sich unwillkürlich, ob ihre Mutter auch aus ihr eine Hure machen wollte.
    Vor Millies Tod hatte sie sich kaum jemals Gedanken über das Gewerbe ihrer Mutter gemacht. Vielleicht lag es einfach daran, dass sie damit aufgewachsen war, wie die Kinder eines Fleischers oder Gastwirts mit dem Gewerbe ihres Vaters aufwuchsen. Aber jetzt ging es ihr nicht mehr aus dem Kopf. Sie ertappte sich dabei, die Mädchen mit anderen Augen zu sehen, und wünschte sich, sie könnte sie fragen, wie ihnen dabei zumute war und warum sie sich dazu entschlossen hatten.
    Anscheinend war auch ihre Mutter früher eine Hure gewesen und ihr Vater vermutlich einer ihrer Kunden. Bei der Vorstellung wurde Belle elend. Aber vielleicht war das die Erklärung dafür, dass Annie ihr gegenüber immer so kühl war? So jung und unerfahren Belle auch war, sie konnte sich vorstellen, dass ein Baby das Letzte war, was sich eine Hure wünschte; es musste ihr Leben doppelt so schwer machen.
    Vor all diesen Ereignissen hatte sich Belle sehr behütet und ihren Nachbarn sogar ein bisschen überlegen gefühlt. Ihr Zuhause war sauber und ordentlich, sie konnte gut lesen und schreiben, sie war nett gekleidet und gesund, und alle machten ihr Komplimente, wie hübsch sie war. Ihr Traum, einen kleinen Hutsalon zu eröffnen, war ihr nie unerreichbar erschienen, und sie hatte schon einen ganzen Skizzenblock voller Hutmodelle entworfen. Sie hatte geplant, irgendwann eine Modistin in der Strand zu bitten, sie als Lehrling aufzunehmen, damit sie lernen konnte, wie man Hüte anfertigte.
    Aber jetzt war es um ihre Zuversicht geschehen. Sie fühlte sich genauso erbärmlich und wertlos wie eines der obdachlosen Straßenkinder, die in der Villiers Street unter den Eisenbahnbrücken oder in den leeren Kartons rund um den Covent

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