Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
hierbehalten. Hatte er vor, sie woanders hinzubringen? Oder würde er sie töten?
Diesen Gedanken hatte sie früher am Tag noch als absurd abgetan; sie hatte sich sogar vorgestellt, er würde zurückkommen undsich bei ihr entschuldigen oder sagen, dass er ihr nur eine Lektion erteilen wollte. Aber je mehr Zeit verging, desto weniger abwegig erschien ihr dieser Gedanke, denn nur auf diese Weise konnte er sie für immer zum Schweigen bringen.
Wem gehörte dieses Haus? Sie hielt es für unwahrscheinlich, dass Philippe Le Brun der Besitzer war, denn es gab absolut keinen Grund, warum er den Wunsch haben sollte, sie gefangen zu halten. Pascal gehörte es sicher auch nicht; ein einfacher Hotelportier würde sich so etwas nie leisten können. Steckte Pascal mit dem Besitzer des Hauses unter einer Decke und beabsichtigte er, sie an ein Bordell zu verkaufen oder sie wieder nach Übersee zu schicken?
Diese Gedanken gingen ihr unablässig durch den Kopf, bis sie glaubte, den Verstand zu verlieren. Immer wieder trommelte sie an die Wände und stampfte auf den Boden. Sie lauschte angestrengt, in der Hoffnung, jemanden zu hören, wenn nicht hier im Haus, dann vielleicht im benachbarten, aber überall herrschte tiefe Stille. Vielleicht war dieses Haus höher als die angrenzenden, und die Wände dieses Zimmers stießen nicht an die Nachbarhäuser.
Bestimmt würde Gabrielle sich Sorgen machen, wenn sie nicht nach Hause kam. Aber was würde sie tun? Was konnte sie überhaupt tun? Sie wusste nicht, wer Belles Treffen mit ihren Kunden in die Wege leitete.
Belle fragte sich, wie lange es dauern würde, bevor Gabrielle ihr Zimmer durchsuchte und das Geld entdeckte, das Belle unter der Schublade im Schrank versteckt hatte. Es waren eintausendsiebenhundert Francs, genug, um jede nicht gerade wohlhabende Wirtin davon abzuhalten, ihren Gast als vermisst zu melden.
Belle hatte das Gefühl, dass sie unter einem bösen Fluch stand. Immer wenn sich ihr Leben zum Besseren zu wenden schien, passierte etwas Furchtbares.
Daheim in Seven Dials war sie so froh gewesen, Jimmy kennenzulernen, aber in derselben Nacht war sie Zeugin von Millies Ermordung geworden. Nach den grauenhaften Qualen bei MadameSondheim hatte sie sich wie erlöst gefühlt, als sie von Lisette gesund gepflegt wurde. Aber dann war sie nach Amerika geschickt worden.
Die Zeit mit Etienne in New York und auf dem Weg nach New Orleans war ein kleines Stückchen Glück gewesen, aber nicht lange, und sie saß bei Martha fest und bildete sich ein, Faldo Reiss wäre ihre Rückfahrkarte nach England. Das Leben in seinem Haus erwies sich als eine andere Art Gefängnis, aber die Arbeit in Miss Franks Hutsalon hatte ihr neue Hoffnung gegeben. Dann war Faldo gestorben und Miss Frank hatte sich gegen sie gewandt.
In Marseille hatte sie Madame Albertine vertraut, aber auch sie hatte Belle verraten.
Und schließlich, als sie gerade im Begriff war, nach Hause zu ihrer Mutter, Mog und Jimmy zu fahren, tat Pascal ihr das an. Warum? Er musste mit ihr eine Menge Geld verdient haben, warum reichte ihm das nicht?
Wäre es anders gekommen, wenn sie freudig zugestimmt hätte, mit ihm zu schlafen?
Irgendwie bezweifelte sie das. Er hatte von dieser Dachkammer gewusst, das hieß, dass er geplant hatte, sie hier einzusperren. Vielleicht hatte er befürchtet, seine Arbeit zu verlieren, wenn etwas über seinen Nebenverdienst bekannt wurde.
Sie hätte nach jenem Abend in dem Café auf dem Montmartre wissen müssen, dass er nicht so leicht aufgeben würde. Sie hatte es bis in die Knochen gespürt, dass Unheil drohte. Warum hatte sie nicht auf ihren Instinkt vertraut und Frankreich sofort verlassen? Wie hatte sie nur so dumm sein können, sich einzureden, dass man den Frühling in Paris unbedingt erlebt haben musste? Und selbst wenn es das war, was sie in Paris gehalten hatte, warum hatte sie nicht sofort ihre Tätigkeit eingestellt und war in ein anderes Hotel gezogen, damit Pascal glaubte, sie hätte Paris endgültig den Rücken gekehrt? Sie hatte genug Geld, aber aus ihrem dummen Stolz und dem Wunsch heraus, nicht mit leeren Händen heimzukehren, hatte sie noch mehr haben wollen.
Ihr wurde richtiggehend schlecht, als sie der Wahrheit über sichselbst ins Auge sah. Sie wusste, dass viele Prostituierte anfangs zu ihrer Arbeit gezwungen worden waren und andere aus verzweifelter Not oder sogar schlichter Dummheit in diesem Gewerbe landeten. Aber alle Huren, die sie kannte, waren dabeigeblieben, weil sie
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