Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
die Meinung zu sagen.«
Etiennes Herz schlug schneller, denn genau an diesem Tag war Belle verschwunden. Das konnte natürlich Zufall sein, aber ihm war klar, dass er sich in dem Haus umschauen musste. »Donnerstag nach Ostern … das wäre dann der Elfte gewesen. Sind Sie sich ganz sicher?«
»Absolut. Ich habe mir das Datum notiert, weil ich eventuell gerichtlich gegen den Mann vorgehen will. Ich habe hinten nur einen kleinen Garten, aber ich halte ihn gut in Schuss. Ich habe mich auch um den Garten von Madame Florette gekümmert, obwohl er doppelt so groß wie meiner ist, weil sie zu alt und hinfällig war, um es selbst zu machen. Aber dieser Pascal hat ihn total verkommen lassen, und wenn er das Gestrüpp nicht noch vor dem Sommer zurückschneidet, kommt überhaupt kein Licht mehr in meine Küche.«
»Er hat hoffentlich versprochen, etwas zu unternehmen?«
»Nein, keineswegs. Er war schrecklich unhöflich, wie immer. Er ist einfach ins Haus gerannt und hat mir die Tür vor der Nase zugeknallt.«
»Haben Sie ihn zufällig heute Abend hier gesehen?«, fragte Etienne. »In der Diele brennt Licht. Vielleicht kommt er ja später noch mal wieder.«
»Er bleibt nie über Nacht. In den oberen Räumen stehen keine Möbel mehr, nur im Salon. Madame Florette hatte viele hübsche Sachen, die sie Freunden und Verwandten hinterlassen hat. Aber den Salon hat sie aus irgendeinem Grund für diesen widerlichen Kerl so gelassen, wie er ist. Ihre Angehörigen waren nach ihrem Tod hier, um die Sachen abzuholen – wir hatten die Schlüssel, wissen Sie –, und sie waren sehr aufgebracht, weil sie das Haus diesemungebildeten Leichenbestatter hinterlassen hat. Aber da war nichts mehr zu machen.«
»Am Abend des Elften hat er nicht zufällig eine junge Dame mitgebracht, oder?«
Der Mann runzelte die Stirn. »Als er kam, war er allein, deshalb habe ich ihn ja angesprochen. Aber vielleicht ist später noch jemand gekommen, ich habe jedenfalls eine Kutsche gehört. Aber das muss nichts mit ihm zu tun gehabt haben.«
Etienne fand, dass es an der Zeit war, mit der Wahrheit herauszurücken. »Ehrlich gesagt, Sir, ich bin gar nicht daran interessiert, das Haus zu mieten. Ich bin auf der Suche nach einer jungen Dame, die verschwunden ist, und ich bin sicher, dass Monsieur Pascal etwas damit zu tun hat.«
Der alte Mann fixierte Etienne scharf. Vielleicht bedauerte er jetzt, einem Fremden so viel erzählt zu haben. Aber dann schnaubte er. »Zuzutrauen wäre es ihm. Meinen Sie etwa, dass sie jetzt in dem Haus ist?«
»Das wäre möglich. Sie ist am Abend des Elften verschwunden, und er hat sie in einer Droschke zum Montmartre bringen lassen, das steht fest. Haben Sie Geräusche von nebenan gehört?«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Aber die Mauern sind ziemlich dick.«
»Wäre es zu viel verlangt, wenn ich Sie frage, ob ich von Ihrem Garten in seinen einsteigen darf?«
Der Mann zögerte. »Woher soll ich wissen, dass Sie nicht vorhaben, meinen Nachbarn auszurauben?«
»Würde Ihnen das etwas ausmachen?«
Der andere grinste. »Nein, aber ich lasse mich nicht gern für dumm verkaufen.«
»Falls das Mädchen in diesem Haus ist, sind Sie der Held des Tages«, sagte Etienne. »Riskieren Sie es? Bitte! Er könnte ihr etwas angetan haben.«
»Dann ist es meine Pflicht, Ihnen zu helfen. Kommen Sie rein!«
Etienne folgte dem Mann in eine breite Diele und von dort ineinen schmalen Gang, der zur Küche und Spülküche führte. Der Mann öffnete die Tür zum Hof. »Falls Sie erwischt werden, weiß ich von nichts«, sagte er, aber dann lächelte er. »Viel Glück! Sie werden mir doch erzählen, ob Sie das Mädchen gefunden haben?«
»Ihnen und der ganzen Nachbarschaft«, antwortete Etienne. »Ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet.«
Etienne sah sofort, warum Pascals Nachbar so erbost war. Die Büsche und Sträucher auf der anderen Seite der ungefähr zwei Meter hohen Mauer zwischen den beiden Häusern waren hoch und dicht. Noch wuchs wenig Laub an ihnen, aber im Sommer würden sie bis in den kleinen, gepflegten Hintergarten hinüberwuchern.
Geschmeidig wie eine Katze kletterte er über die Mauer und sprang auf der anderen Seite an einer Stelle hinunter, wo das Gebüsch weniger dicht war. Selbst im Dunkeln konnte er sehen, dass der Garten völlig verwildert war. Hier und da entdeckte er eine leuchtend weiße Blüte und nahm einen lieblichen Duft wahr, was ihm verriet, dass dieser Garten einmal sehr geliebt worden war. Er
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