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Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)

Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)

Titel: Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Pearse
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litten, sondern auch ihre Nase. Pferdemist, kandierte Äpfel, Fisch, verfaulendes Gemüse, warme Brotlaibe und Kuchen – alle Gerüche vermischten sich miteinander und hingen wie ein stinkendes, dampfendes Netz in der kaltenLuft. Betroffen registrierte sie die Häuser, die alle baufällig wirkten, die mit Abfall übersäte Straße, Männer und Frauen in unterschiedlichen Stadien der Trunkenheit und verdreckte Kinder, die überall umherwuselten und nicht mehr als ein paar Fetzen am Leib hatten. Die einzigen Gebäude, die einigermaßen gepflegt wirkten, waren die Schänken und Pfandleihen.
    Es kam ihr seltsam vor, dass sie in diesem Viertel aufgewachsen war und trotzdem bisher nie bemerkt hatte, wie verkommen, deprimierend und armselig es war. Vielleicht war sie nicht ganz sie selbst, denn sie bekam Kopfschmerzen von dem Lärm, bei den Gerüchen drehte sich ihr der Magen um, und sie witterte in jeder Gasse und jedem Hinterhof Gefahr. Sie beschleunigte ihre Schritte, ängstlich darauf bedacht, bald wieder zu Hause und in Sicherheit zu sein.
    Als sie sich Jake’s Court näherte, hörte Belle einen Wagen hinter sich, doch sie schenkte dem alltäglichen Geräusch keine Beachtung und wandte nicht einmal den Kopf. Da wurde sie plötzlich von jemandem, der sich von hinten an sie herangeschlichen hatte, abrupt hochgehoben. Ihre Arme wurden mit festem Griff gepackt und auf ihren Rücken gezogen, während sich gleichzeitig eine Hand auf ihren Mund presste, um sie am Schreien zu hindern. Sie wehrte sich und versuchte, mit den Füßen zu treten, aber ihr männlicher Angreifer war viel größer und stärker als sie, und sie wurde rasch in die schwarze Kutsche gestoßen, die jetzt neben ihr stand und die gesamte Breite der engen Gasse einnahm.
    Da es draußen im matten Schein der Gaslaternen dunkel und im Inneren der Kutsche noch dunkler war, merkte Belle erst, dass sich noch ein Mann darinnen befand, als er sie an den Armen packte, während der andere hinter ihr in den Wagen sprang. Einer von ihnen klopfte an die Rückwand, um den Kutscher aufzufordern, dass er weiterfahren sollte.
    Belle war außer sich vor Angst, aber sie kreischte trotzdem so laut sie konnte und versuchte verzweifelt, zur Tür zu gelangen undzu entkommen. Ein harter Schlag an ihre Schläfe beförderte sie auf den Sitz zurück.
    »Ein Mucks von dir, und du bist tot«, sagte eine vertraute barsche Stimme.
    Belle wusste sofort, dass es Millies Mörder war. Und sie zweifelte nicht daran, dass er seine Drohung wahr machen würde, wenn sie seinen Befehl missachtete.
    »Wo ist sie, Mog?«, fragte Annie gereizt. Sie waren seit einer Viertelstunde wieder zu Hause. Da die Mädchen schon in der Küche waren, als sie heimkamen, und lautstark verlangt hatten, etwas über die Beerdigung zu hören, hatte sie nicht sofort gemerkt, dass Belle fehlte. Erst als sie für jede ein Glas Dessertwein einschenkte, fiel es ihr auf.
    »Keine Ahnung. Ich nehme an, sie ist ein bisschen an die frische Luft gegangen. Du kennst sie ja«, antwortete Mog. »Hat sie einer von euch Bescheid gesagt?«, wandte sie sich an die Mädchen.
    »Das letzte Mal, dass wir sie gesehen haben, war kurz bevor ihr gegangen seid«, erwiderte Lily. Lily und die vier anderen Mädchen hatten sich nicht einmal richtig angezogen, sie trugen schäbige Morgenmäntel über schmuddeliger Unterwäsche. Alle wirkten, als hätten sie seit Tagen keine Bürste mehr benutzt. Lilys Haar sah aus wie ein Vogelnest.
    Das ungepflegte Äußere der Mädchen und ihre leeren Gesichter brachten Mog in Rage. »Ihr hättet euch ruhig die Mühe machen können, ein bisschen nett auszusehen, um etwas Respekt zu beweisen«, fuhr sie die Mädchen an.
    »Aber wir haben heute Abend doch nicht geöffnet«, gab Lily frech zurück. »Wozu sollen wir uns zurechtmachen, wenn doch keiner kommt?«
    »Ich hoffe, bei deinem Abgang zeigt irgendjemand etwas mehr Achtung«, zischte Mog sie an. »Und du könntest dir ruhig ein bisschen Sorgen um Belle machen.«
    »Der geht’s bestimmt gut«, bemerkte Amy, die eine dünne, fettige Haarsträhne zwischen den Fingern hielt und darauf herumkaute. »Was kann ihr hier, wo jeder weiß, wer ihre Ma ist, schon passieren?«
    Um acht Uhr am selben Abend war Annie auf dem Polizeirevier in der Bow Street und teilte dem Beamten mit, sie sei davon überzeugt, dass ihre Tochter entführt und vielleicht sogar umgebracht worden war. Sie und Mog hatten ganz Seven Dials abgesucht und jeden gefragt, ob er Belle gesehen habe.

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