Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
mitmarschiert.«
»Ob ihre Familie wohl je erfährt, was aus ihr geworden ist?«, fragte Belle, die es sehr traurig fand, dass ein so lebhaftes, sonniges Wesen beinahe heimlich bestattet wurde.
»Na ja, ihre Verwandten wussten, wo sie war, als sie hier bei uns anfing.« Mog schnaubte missbilligend. »Aber sie haben nie geschrieben. Ich würde sagen, das heißt, dass Millie ihnen egal war.«
Belle musste zugeben, dass es ganz danach aussah. »Wann findet die Beerdigung statt?«, fragte sie.
»Freitagnachmittag um vier«, sagte Mog. »Auf dem Friedhof von Holy Trinity. Danach gibt es hier bei uns Tee für uns und die Mädchen. Nur eine kleine Gedenkfeier, nichts Aufwendiges. Ich mache ein paar Kuchen und belegte Brote. Mehr können wir für sie nicht tun.«
Anscheinend bin ich über Nacht erwachsen geworden, als ich Zeugin des Mordes wurde, dachte Belle, denn sie spürte instinktiv, dass Mog sich ihre Trauer um Millie nicht anmerken ließ, weil jeder von ihr erwartete, dass sie mit allem fertig wurde, was ihr im Leben widerfuhr. In Belles Augen war Mog immer alt gewesen, aber in Wirklichkeit war sie nur zehn Jahre älter als das tote Mädchen, und sie hatte mehr als die Hälfte ihres Lebens in diesem Haus verbracht, ging kaum jemals aus und war stets für alle da, ohne dafür viel Dank zu ernten.
Sie ging zu Mog, legte beide Arme um sie und drückte sie fest an sich.
»Wofür ist das denn?«, fragte Mog schroff.
»Dafür, dass du etwas ganz Besonderes bist«, sagte Belle.
»Ach, geh!«, gab Mog zurück, aber die spielerische Art, in der sie Belle wegschubste, und das Beben in ihrer Stimme verrieten, dass sie gerührt war.
Am Freitag verließen Mog und Annie in schwarzen Kleidern und mit Schleiern an ihren Hüten um halb vier das Haus, um zum Bestattungsunternehmen in der Endell Street zu gehen. Dorthin war Millies Leichnam nach der Untersuchung im Leichenschauhaus gebracht worden. Die beiden Frauen wollten dem von Pferden gezogenen Leichenwagen auf der kurzen Strecke zum Friedhof zu Fuß folgen. Am Vormittag waren vor der Tür in Jake’s Court zwei Kränze und ein paar Blumensträuße niedergelegt worden. Es waren keine Karten dabei, aber Mog vermutete, dass sie von Millies Bewunderern stammten. Annie hatte einen Kranz aus Immergrün und roten Wachsrosen gekauft, der, wie sie sagte, länger halten würde als einer mit frischen Blumen. Sie war den ganzen Vormittag über sehr gereizt gewesen, und Mog sagte, das wäre kein Wunder, weil sie sehr an Millie gehangen hätte. Belle dachte bei sich, dass Annie vermutlich eher befürchtete, die Beerdigung könnte noch mehr unerwünschte Aufmerksamkeit auf sie lenken.
Lily und Sally, die beiden ältesten der verbliebenen Mädchen, hatten die Aufsicht über das Haus bekommen. Mog wies sie an, um halb fünf den Kessel aufzusetzen und in der Küche den Tisch zu decken. Annie und sie würden wenig später wieder daheim sein.
Sowie Mog und Annie außer Sichtweite waren, zog Belle ihren Mantel an und ging zur Hintertür hinaus. Die Mädchen waren alle oben, sie konnte hören, wie sie einander anschrien. Dollys Halskette war verschwunden, und sie behauptete, eines der anderen Mädchen hätte sie gestohlen.
Seit Millies Tod zankten sie sich ständig. Weil sie sich langweilten, meinte Mog, aber was auch immer der Grund war, Belle konnte das ewige Gekeife nicht mehr ertragen. Sie wollte ausgehen und Jimmy suchen.
Weil sie sich nicht traute, in den Ram’s Head zu gehen, um nach ihm Ausschau zu halten, schlenderte sie langsam an der Schänke vorbei und hoffte, er würde sie zufällig sehen. Er hatte gesagt, dass er normalerweise gegen vier Uhr nachmittags herauskam, deshalb ging sie auf die andere Straßenseite und betrachtete die Auslage eines Ladens mit gebrauchter Kleidung, während sie darauf wartete, dass er auftauchte.
Die Temperatur war im Lauf des Tages leicht gestiegen, und die Klumpen von schmutzigem Eis in den Straßenrinnen schmolzen rasch. Belle wartete mindestens eine Viertelstunde, bis es dunkel wurde, und ging dann, weil ihr wirklich kalt war, in Richtung Covent Garden Markt, um sich dort nach Jimmy umzuschauen.
Wie üblich wogten Menschenmassen durch die engen Gassen, und Belle hörte die Schreie der Straßenverkäufer, die Musikanten, die Akkordeon oder Geige spielten oder einfach nur Löffel rhythmisch aneinander schlugen, das Rumpeln der Karren auf den Pflastersteinen, und Leute, die einander etwas über das Getöse hinweg zuriefen. Nicht nur ihre Ohren
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