Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
er, dass er mit ihr sprechen musste, nur dieses eine letzte Mal. Im Verlauf des letzten Jahres war das ferne Rumoren, das einen bevorstehenden Krieg ankündigte, immer lauter geworden, und seit der Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand von Österreich Ende Juni schien er unausweichlich. Deutschland würde in Frankreich einmarschieren, und Etienne wusste, dass er in diesem Fall für sein Land kämpfen musste und vielleicht nie wieder nach England kommen würde.
Die beiden Frauen stiegen in den Wagen und fuhren ab. Belle schloss die Tür, und Etienne rannte impulsiv durch den Regen über die Straße. Bevor er in den Laden trat, spähte er durchs Fenster. Belle stand mit dem Rücken zu ihm und arrangierte Hüte auf kleinen Ständern. Auf dem Rücken ihres Kleids verlief eine Reihe winziger Perlknöpfe, und die Vorstellung, dass er nie derjenige sein würde, der sie aufknöpfen durfte, versetzte ihm einen eifersüchtigen Stich. Als sie sich bückte, um eine Hutschachtel aufzuheben, erhaschte er einen Blick auf wohlgeformte Waden über hübschen, knöchelhohen Stiefelchen. Als er Belle in Paris befreite, hatte er sie nackt gesehen und nichts als Sorge um sie empfunden, aber jetzt wirkten schon ein paar Zentimeter Bein erregend auf ihn.
Sie drehte sich um, als die Ladenglocke bimmelte. Als sie ihn sah, flog ihre Hand zum Mund, und ihre Augen weiteten sich. »Etienne!«, rief sie. »Was machst du denn hier?«
Er bemerkte den Ehering an ihrem Finger sofort und wusste, dass sie Jimmy Reilly geheiratet haben musste, den Jugendfreund, von dem sie so oft gesprochen hatte und der jetzt, wie Etienne wusste, auch in Blackheath lebte. Er unterdrückte seine Enttäuschung. »Ich fühle mich geschmeichelt, dass du dich noch an mich erinnerst«, bemerkte er leichthin. »Du bist ja noch hübscher geworden. Erfolg und Eheleben scheinen dir gut zu bekommen.«
Er trat näher, um sie auf die Wangen zu küssen, aber sie errötete und wich nervös zurück. »Woher hast du gewusst, dass ich hier in Blackheath bin?«, fragte sie.
»Ich war im Ram’s Head in Seven Dials. Der neue Wirt hat mir erzählt, dass Garth und Jimmy hierher gezogen sind, und da du mir geschrieben hattest, dass Garth und Mog heiraten wollten, habe ich erwartet, dich ebenfalls hier anzutreffen. Und weil ich bis zu meiner Abreise noch einen Tag Zeit habe, bin ich einfach mit dem Zug hergefahren. Eigentlich wollte ich ins Railway Inn gehen und mich Garth vorstellen, aber weil es geschlossen war, bin ich hier entlanggebummelt und habe zu meiner Freude deinen Laden entdeckt.«
»Tut mir leid, ich hätte mich noch einmal bei dir melden und von Garths und Mogs Heirat schreiben sollen – und auch, dass ich Jimmy geheiratet habe«, sagte sie. »Aber …« Sie kam ins Stocken und machte eine hilflose Handbewegung.
»Ich verstehe schon«, sagte er. »Unter alten Freunden bedarf es keiner Erklärungen. Ich bin jedenfalls froh, dass für dich alles gut gelaufen ist. Wohnt ihr auch über dem Pub, Jimmy und du?«
»Ja, und meine Mutter hat mir geholfen, diesen Laden zu bekommen. Gefällt er dir?«
Etienne betrachtete die in zartrosa und cremefarben gehaltene Einrichtung. »Hübsch – sehr weiblich und schick. Draußen auf der Straße hat mir eine Frau erzählt, dass man nicht mal in der Regent Street schönere Hüte bekommt.«
Belle lächelte und entspannte sich sichtlich. »Warum legst du nicht deinen nassen Mantel ab und trinkst eine Tasse Tee mit mir?«
Sie ging in das kleine Hinterzimmer und rief ihm dabei zu: »Lebst du immer noch auf deinem Bauernhof?«
Etienne hängte seinen Mantel an einen Haken bei der Tür und strich sich mit den Händen sein feuchtes helles Haar glatt. »Ja, aber gelegentlich mache ich auch Übersetzungen, und das ist auch der Grund, warum ich in England bin. Ich hatte einen Termin bei einem Unternehmen, für das ich schon ein paarmal gearbeitet habe«, rief er zurück.
Belle kam zurück. »Dann gibt es in deinem Leben also mehr als Hühner und Zitronenbäume?«, meinte sie. »Sag mir bitte, dass du nicht vom Pfad der Tugend abgewichen bist!«
Etienne legte eine Hand aufs Herz. »Ich gebe dir mein Wort, dass ich eine Säule der Gesellschaft bin«, verkündete er feierlich, aber mit einem fröhlichen Augenzwinkern.
Belle kicherte, als würde sie ihn nicht ganz ernst nehmen.
»Zweifelst du etwa an meinem Wort?«, fragte er mit einem jungenhaften Grinsen. »Schäm dich, Belle, dass du so wenig Vertrauen zu mir hast. Habe ich dich je
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