Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)

Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)

Titel: Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Pearse
Vom Netzwerk:
um viel von ihm zu erkennen, aber Belle war sich sicher, ihn noch nie zuvor gesehen zu haben. Seine Haut war dunkel wie bei einem Zigeuner, und er hatte krauses schwarzes Haar und wulstige Lippen. Er hatte einen Pelerinenmantel an, wie er gern von Droschkenkutschern getragen wurde, und Belle nahm den strengen, muffigen Geruch wahr, den er verströmte, als wäre das Kleidungsstück lange an einem feuchten Ort aufbewahrt worden.
    Belle überlegte, wann ihre Mutter und Mog anfangen würden, sich wegen ihres Ausbleibens Sorgen zu machen, und wie lange es dauern mochte, bis sie begannen, nach ihr zu suchen. Wahrscheinlich würden sie sich bloß ärgern, wenn Belle nach ihrer Rückkehrvon der Beerdigung nicht zu Hause wäre, aber gegen acht, neun Uhr würden sie allmählich befürchten, dass ihr etwas zugestoßen war und sich auf die Suche machen. Belle hoffte, dass irgendjemand beobachtet hatte, wie sie in die Kutsche gestoßen worden war, aber da sie sich nicht erinnern konnte, zu der Zeit jemanden in der Nähe gesehen zu haben, schien es nicht sehr wahrscheinlich.
    Unter diesen Umständen würde ihre Mutter der Polizei doch erzählen, wer Millie getötet hatte, oder? Möglich, aber das hieß noch lange nicht, dass die Polizei wusste, wo sie den Täter finden konnte. Belle sah ihn verstohlen an. Als sie sein Profil betrachtete, wusste sie, warum er »der Falke« genannt wurde, denn seine Nase erinnerte an den gekrümmten Schnabel eines Raubvogels. Sie vermutete, dass er den Namen auch aus anderen Gründen bekommen hatte, vielleicht wegen der Schnelligkeit und Brutalität, mit der er seine Beute verfolgte.
    Die Reise ging immer weiter, und Belle wurde so kalt, dass sie fürchtete zu erfrieren, bevor die Männer Gelegenheit hätten, sie umzubringen. Die Geräusche der Großstadt waren schon längst verstummt, und alles, was sie hören konnte, waren die Räder der Kutsche und der Hufschlag der Pferde, sonst nichts. Sie hatte den Eindruck, als wären sie die ganze Nacht unterwegs, aber das konnte nicht stimmen, denn Kent zückte seine Taschenuhr und teilte seinem Gefährten mit, dass sie gegen neun Uhr abends ankommen müssten.
    Belle hatte keine Ahnung, wie viele Meilen es von London bis Kent waren, und selbst wenn sie es gewusst hätte, hätte sie nicht sagen können, welche Entfernung in viereinhalb Stunden von einem Gespann mit vier Pferden zurückgelegt werden konnte.
    Sie war zu verängstigt, um Hunger zu haben, aber ihr war nicht nur eiskalt, sie musste auch dringend auf die Toilette. Das wagte sie jedoch nicht zu erwähnen, aus Angst, es könnte als Vorwand reichen, sie zu töten und aus dem Wagen zu werfen.
    Irgendwann schob Kent das Rollo am Wagenfenster hoch und schaute hinaus. Belle konnte nur tintenschwarze Dunkelheit sehen, nicht einmal einen schwachen Lichtschein, der verriet, dass sie an Häusern vorbeifuhren. Aber er schien zu wissen, wo sie waren, und ein paar Minuten später wurde die Kutsche langsamer und bog scharf nach links ab, wo sie dem Geräusch nach über losen Kies fuhr.
    Die ganze Fahrt über war Belle versucht gewesen, Kent zu fragen, was er mit ihr vorhatte, aber sie traute sich nicht. Vielleicht war es am besten, sich still zu verhalten; womöglich schlug Kent sie, wenn sie ihm lästig fiel.
    »Ich muss mal«, platzte sie schließlich heraus. Sie wusste nicht, wie eine Dame Männern mitteilte, dass sie auf die Toilette musste. Die Mädchen daheim benutzten das Wort »pissen«, aber Mog sagte, das sei ordinär.
    »Wir sind gleich da«, antwortete Kent knapp.
    Ungefähr fünf Minuten später zügelte der Kutscher die Pferde. Der Mann, der wie ein Zigeuner aussah, stieg zuerst aus und bedeutete Belle, dass sie als Nächste dran war. Die Schlinge um ihre Knöchel war nicht weit genug, als dass sie den Wagenschlag hinuntersteigen konnte, aber er streckte seine Arme aus, fasste sie um die Taille und hob sie herunter.
    Raureif lag wie eine dünne, aber dichte Schneedecke auf dem Boden und funkelte im Licht der Kutschenlaternen. Hinter dem kleinen goldenen Lichtsee war es zu dunkel, um die Umgebung zu erkennen, aber Belle hatte den Eindruck, dass sie bei einem Bauernhaus waren, da es stark nach Mist roch. Das Gebäude wirkte sehr alt, aber auch das war schwer zu sagen, da es nur bei der Eingangstür ein einziges Licht gab.
    Belle konnte hören, wie Kent leise mit dem Kutscher sprach, während der Zigeuner, wie sie ihn für sich nannte, sie am Arm fasste und sie neben sich zum Haus hoppeln ließ. Er

Weitere Kostenlose Bücher