Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
jemanden bitten, ihr zu helfen, und natürlich hielt sie nach einer geeigneten Person Ausschau.
Sie reisten zweiter Klasse, wie alle anderen, die ihre Kabinen auf demselben Deck wie sie hatten. Es gab nur zwölf Reisende erster Klasse, deren Kabinen sich ein Deck höher befanden und die in ihrem eigenen Speisesaal aßen, wo das Essen wahrscheinlich sehr viel besser war.
In Cork waren ungefähr hundert Passagiere an Bord gekommen, die dritter Klasse oder im Zwischendeck reisten. Sie wurden tief unten im Inneren des Schiffs untergebracht, und Belle hatte gehört, wie einer der Offiziere ihnen sehr schroff mitteilte, dass sie sich nur zu bestimmten Zeiten in bestimmten Bereichen des Oberdecks aufhalten durften. Nach dem flüchtigen Blick, den sie in Cork auf diese Leute erhascht hatte, konnte sie an ihren zerschlissenen Kleidern und Schuhen erkennen, dass sie sehr arm waren. Sie erinnerte sich, in der Schule von den ersten irischen Emigranten nach Amerika und den schrecklichen Zuständen auf den Überfahrten gehört zu haben, und hoffte, dass diese bedauernswerten Menschen nicht ebenso schlecht behandelt wurden.
Belle war kaum an Bord, als sie schon anfing, Pläne zu schmieden. Da Etienne nicht den Eindruck machte, dass er Ungehorsam oder Frechheiten dulden würde, wollte sie versuchen, ihn mit Liebenswürdigkeit milder zu stimmen. Jedes Mal, wenn er in die Kabine kam, begrüßte sie ihn freundlich und erkundigte sich, wie kalt es oben an Deck war, wen er dort gesehen hatte und dergleichen.Sie machte das Bett für ihn, hielt ihre Sachen in Ordnung und behandelte ihn, soweit es ihr möglich war, als wäre er tatsächlich ihr Onkel.
Sie spürte, dass ihr Verhalten Wirkung zeigte, denn er kam häufig in die Kabine, um ihr vorzuschlagen, einen Spaziergang an Deck zu machen, oder setzte sich mit ihr in die bequemen Liegestühle am Oberdeck und betrachtete die See.
Sie drehte sich um, als sie Etienne in die Kabine kommen hörte. »Hallo! Kommen Sie, um mich zu befreien?«, fragte sie mit einem Lächeln.
»Ein Sturm braut sich zusammen«, sagte er. »Ein paar Passagiere sind schon seekrank. Normalerweise ist es besser, bei rauer See näher an der frischen Luft zu sein. Sollen wir in die Lounge gehen?«
Belle fand, dass Etienne ein gut aussehender Mann war. Seine eisigen blauen Augen und seine drohenden Worte mochten anfänglich erschreckend gewirkt haben, aber er hatte eine gut geschnittene Nase und einen ausdrucksvollen Mund, und seine Haut war glatt, rein und goldbraun, als wäre er vor Kurzem in der Sonne gewesen. Er hatte keinen Bart, was ungewöhnlich war, aber ihr gefiel es. Auch sein Haar war schön. Sie war Männer gewohnt, die ihr schütter werdendes Haar mit Brillantine glätteten oder es kaum wuschen oder pflegten, wie die meisten Männer in Seven Dials. Aber Etiennes Haar war sauber, dicht und hell, und wie Mog bestimmt gesagt hätte: wie geschaffen, um es zu zerwühlen.
Belle hatte am Morgen durch ihre Vorhänge gespäht, als er sich mit nacktem Oberkörper wusch und rasierte, und festgestellt, dass sein Körper kräftig gebaut und muskulös wie der eines Preisboxers war. Er war jünger, als sie zuerst angenommen hatte, ungefähr Anfang dreißig, schätzte sie. All das, sein vergleichsweise jugendliches Alter und sein gutes Aussehen, weckte in ihr die Hoffnung, sie könnte ihn auf ihre Seite ziehen.
»Das wäre schön, Onkel«, sagte Belle und grinste. »Vielleicht trinken wir auch eine Tasse Tee, ja?«
Etienne bestellte Tee und Kuchen für sie, und als sie sich ansFenster setzten und aufs Meer hinausschauten, fielen Belle drei elegant gekleidete Frauen auf, die in der Nähe saßen. Sie waren nicht älter als dreiundzwanzig, vierundzwanzig, und sie mussten in Cork an Bord gekommen sein, weil Belle sie vorher noch nie gesehen hatte. Zwei von ihnen waren eher unscheinbar, aber die dritte war mit ihrem flammend roten Haar auffallend hübsch.
»Das rothaarige Mädchen wäre genau die Richtige für Sie«, sagte Belle. »Sie ist wirklich sehr hübsch.«
»Und wie kommst du darauf, dass ich nach einer jungen Dame Ausschau halte?«, erwiderte Etienne mit einem leichten Lächeln.
»Tun das nicht alle Männer?«, gab sie zurück.
»Vielleicht habe ich ja schon eine Frau«, meinte er.
Belle schüttelte den Kopf. »Glaube ich nicht.«
»Und warum nicht?«
Weil keine Frau einen Mann will, der junge Mädchen ins Bordell steckt, hätte sie am liebsten geantwortet, aber das hätte ihn bestimmt geärgert.
»Sie
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