Doctor Boff - Weiberkranckheiten
interessiert. Sie hat verständige Fragen gestellt, nicht das pudrige Gesäusel, mit dem mich so viele Frauen quälen. Diese Frau steht mit dem Blutkreislauf auf vertrautem Fuß. Sie wusste schon einiges darüber. Und was das Schönste ist: kein Wort über den Schöpfer und dass alles von Gott stammt. Ihr wisst, dass man mich damit jagen kann.«
»Ich habe schon gewusst, weshalb ich dich nicht mit dem Bischof zusammenbrachte.«
Boff scheute vor der Frage zurück, wo Rohwedder die Nacht verbracht hatte. Er glaubte, die Antwort zu wissen, und wollte nicht erleben, dass die Worte laut ausgesprochen wurden. Rohwedder berührte das heikle Thema von sich aus. Die Kutsche habe man zurückgeschickt, es wäre ein barbarischer Akt gewesen, das Gespräch zu unterbrechen.
»Warum eigentlich? Warum hast du nichts für die nächste Begegnung übrig gelassen? Plagt dich nicht die Angst, dass ihr beide beim nächsten Mal schweigen müsst, weil alles gesagt ist?«
»Wir werden nie fertig sein!«, behauptete der junge Gelehrte großspurig. »Es gibt Menschen, die ein Leben lang miteinander sprechen können, ohne sich vor dem Schweigen zu fürchten.«
Angeblich waren sie für morgen erneut verabredet, die Fürstin erwartete ihren Gast zur Mittagsstunde.
»Wartet nicht auf mich«, sagte Rohwedder, »es könnte spät werden.«
»Wie schön, dass es keine Termine in der Stadt gibt, die dir dazwischenkommen können.«
»Nicht wahr? Ich ahnte schon, dass Halle sich eines Tages bei mir revanchieren wird für die Vernachlässigung, die man mir angetan hat.«
»Du hast es Halle nicht immer leicht gemacht.«
»Dafür bin ich auch nicht auf der Welt.«
»Und wofür bist du auf der Welt, wenn ich fragen darf?«
»Ihr dürft, Ihr dürft. Eure Neugier ist leicht nachvollziehbar. Ich würde nicht anders handeln. Ich bin auf der Welt, um sie voranzubringen. Ich bin der, der nicht am nächsten Tag vergessen ist, wenn er stirbt. Weil ich Bleibendes hinterlasse.«
»Weiß die Fürstin, wie groß dein Selbstbewusstsein ist?«
»Aber natürlich. Darüber habe ich doch die meiste Zeit gesprochen.«
»Und sie blieb sitzen.«
»Sie blieb sitzen und drehte mit einer Hand den Reifen, den sie am Handgelenk trug. Frauen sind so possierlich.«
»Da spricht der Frauenkenner.«
»Ich brüste mich damit nicht. Es fliegt mir einfach zu. Die Frau sieht mich und verspürt im nächsten Moment das Bedürfnis, mir zuzuhören. Soll ich mich verweigern?«
»Das ist undenkbar.«
»Seht Ihr, Ihr meint das auch. Ich handle so, wie ich handeln muss. Es ist meine Natur. So wie es die Natur des Wolfs ist zu jagen. Und die Natur des Vogels, sich in die Lüfte zu erheben.«
Die Tür flog auf, der Bote Lewerkühn stürzte herein, hinter ihm war eine empörte Hermine zu sehen, er hatte sie wohl einfach überrannt.
»Ich weiß, ich bin ungehörig!«, stieß er hervor. »Aber die Neuigkeit duldet keinen Aufschub.«
»Wer ist der Mann?«, fragte Rohwedder eitel. »Er soll sich entfernen, er belästigt uns, vor allem mich.«
»Hoppe ist aus dem Zuchthaus ausgebrochen!«, stieß der Bote hervor.
22
Bis auf Rohwedder wussten alle, von wem die Rede war. Roderich Hoppe, der Mann, der den alten Stadtphysicus angegriffen und schwer verletzt hatte. Vor einer halben Stunde hatte die Meldung den Boten erreicht. »Es ist noch nicht offiziell«, sagte er. »Aber mich erreichen solche Meldungen stets sehr früh.« Seitdem ihn die Büttel gefangen hatten, verbrachte Hoppe seine Tage im städtischen Zuchthaus am Sandberg. Er hatte die Tat gestanden, seine Beweggründe lagen klar zutage. Zahlreiche Augenzeugen hatten seinen Angriff und seine Grausamkeit bestätigt. Es war reiner Zufall, dass Tänzer den Angriff überlebt hatte. Seitdem wartete man im Zuchthaus auf Tänzers Tod. Danach würde man Hoppe als Mörder anklagen, wie es der Brauch war. Man wollte auch vermeiden, dass ein spitzfindiger Advokat die Tat verharmlosen würde, weil ja niemand zu Tode gekommen sei. Das Urteil stand praktisch fest: Tod am Galgen. Der Prozess würde eine Sache weniger Minuten sein. Hoppe machte einen gefassten Eindruck. Seine Angehörigen hatten sich abgefunden.
Weil alles bisher so glatt verlaufen war, schockierte die Nachricht vom Ausbruch doppelt. Im Hof des Zuchthauses waren zwei angespannte Pferde erst nervös geworden und dann durchgegangen. Verantwortlich dafür waren offenbar Bienen gewesen. Mit dem leeren Wagen im Schlepptau waren die Tiere über den Hof kariolt, der Wagen war
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