Doctor Boff - Weiberkranckheiten
haben oder tausend Patienten geheilt. Man kann auch als Zweit- und Drittbester ein zufriedenstellendes Leben führen.
Man verkehrt miteinander, auch die Frauen verkehren miteinander. Schätzt mir nicht die Frauen gering, ich meine jetzt die Ehefrauen, denn wir sind anständige Männer. Im Lauf der Zeit fällt viel Wissen an. Solches, das man sich gezielt beschafft hat, und solches, das man am Rande des Weges fand und in seine Tasche steckte. So entsteht das Netz. Zuerst ist es fragil und zerreißt in diesem Stadium oft. Mancher steigt schnell auf, mancher kommt langsam voran. Aber immer helfen mir Mitglieder aus dem harten Kern. Es wird üblich, dass ich sie unterrichte, und sie geben mir dafür im Gegenzug Kenntnis über Pläne. Wir verfolgen, wie Mitglieder aus dem harten Kern wachsen und scheitern, wie sie zu Lieblingen werden, wie sie sich überschätzen und abstürzen. Vielleicht fliehen sie über Nacht oder bringen sich um, fallen einem Verbrechen zum Opfer oder wollen selbst eins begehen, bei dem sie sich zu dusslig anstellen.
Eines Tages wachst du auf und weißt: Ich bin Teil des Netzes. Ohne das Netz bin ich nichts. Gemeinsam ist uns unsere Liebe zu Halle. Aber Halle ist auch der Theaterboden, auf dem wir unsere Vorstellungen geben. Wir brauchen Halle, Halle braucht uns, eins ergibt sich aus dem anderen, die Kette hat keinen Anfang und kein Ende. Und wenn du lange genug dabei bist,nicht ein Jahr oder zwei, wenn du acht Jahre dabei bist, zwölf, fünfzehn oder noch mehr, dann bist du einer der Fäden, die das Netz halten. Keines dieser kümmerlichen Verbindungsstücke, die die starken Fäden verbinden. Die können ruhig reißen, ohne dass etwas ins Wackeln kommt. Aber die starken Fäden müssen halten, darauf achtest du. Denn jeder aus dem harten Kern will ein starker Faden sein und tut alles dafür, es zu werden.
Das Leben im Netz wird zu deiner zweiten Natur, es wird dir selbstverständlich, bestimmte Wege zu gehen und andere zu meiden; bestimmte Gespräche zu führen und andere zu meiden. Du wirst ein kluger Kerl und willst immer weiter aufsteigen, denn Halle bietet dir Leckerbissen an, die du nicht ausschlagen kannst. Niemand, der Bürgermeister werden kann, schlägt das Angebot aus. Keiner, der Stadtphysicus wird, sagt: Ach, danke nein, kein Interesse. Kein Baumeister, der das neue Rathaus, das neue Zuchthaus, die neue Saline bauen kann, wird sagen: Fragt lieber einen anderen.
Es gibt Möglichkeiten, die ergreift man. Weil man sie nur einmal im Leben bekommt, weil man damit seinen Aufstieg krönt. Und wenn du diese Chance hast und wenn dir einer ins Gehege kommt, während du schon glaubst, oben angelangt zu sein, dann ergreift dich ein fürchterlicher Zorn, und du gerätst in eine gefährliche Lage, denn du könntest einen Fehler begehen, den selbst das Netz nicht vertuschen kann. Nicht nur der Aufstieg kann das Leben verändern, auch der knapp gescheiterte Aufstieg.«
Sie stand vor den Männern, in einer Hand das Glas, in der anderen die Zigarre. Sie trug Hosen, die nicht sauber waren, denn sie kam vom Dachboden, wo sie in diesen Tagen Platz schuf für das Atelier, in dem sie künftig ihre Bilder malen wollte. Die Männer erhoben sich, leutselig der Bruder, verzaubert der Besucher. Sie fragte nicht, ob sie störte, sie setzte sich einfach, erbat Feuer, man stieß an, es war, als habe man schon stundenlang gesessen.
Die Kunde von Hoppes Flucht hatte die Vororte erreicht, Volkes Stimme war sich einig: Hoppe hatte einen Verbündeten. Die Flucht war ihm ermöglicht worden. Zwar sah es so aus, als habe man den Unfall mit dem Pferdewagen nicht manipuliert, aber es gab Informanten, die beschworen, dass sich Hoppe zum Zeitpunkt, an dem die Pferde wild wurden, noch nicht im Hof befunden hatte. Jemand hatte aber dafür gesorgt, dass er herbeigeschafft wurde. Dann, erst dann, sei das Tor geöffnet worden und Hoppe über alle Berge.
»Hört sich sehr konstruiert an«, erwiderte Boff.
»Ich mag das«, sagte die Schwester vergnügt. »Wir halten die einfachen Leute für begriffsstutzig. Aber sie tragen Brosamen zusammen, und irgendwann wird daraus die Wahrheit erkennbar.«
Nun begann das Mutmaßen. Hatte die Flucht überhaupt mit Tänzer zu tun? War Tänzer jetzt bedroht? Und wenn ja, warum wusste sich der unbekannte Auftraggeber nicht einen anderen Mörder zu beschaffen? Was machte Hoppe als Täter so perfekt?
Nebenbei ließ Wünsch einfließen, dass er morgen erfahren würde, was man über Hoppes
Weitere Kostenlose Bücher